Mina
OHLENSCHLÄGER

1865 - 1942 I
Gottlieber Straße 10
Stolperstein verlegt am 19.05.2024
Mina OHLENSCHLÄGER Gottlieber Straße 10

Mit 72 Jahren nach Gurs verschleppt

Mina Ohlenschläger wurde als Mina Haymann am 19. Januar 1865 in Konstanz geboren. Ihr Vater war Hayum (Heinrich) Haymann (1821-1894) und stammte aus Gailingen, ihre Mutter Sara, geb. ca. 1838, geb. Mayer, aus Buchau am Federsee Oberschwaben). Beide Gemeinden wiesen im 19. Jahrhunderts einen hohen Anteil an jüdischer Bevölkerung auf. In Gailingen gab es mit Leopold Hirsch Guggenheim von 1870 bis 1884 sogar einen jüdischen Bürgermeister. Ihre Eltern haben am 30. Nov 1863 in Gailingen geheiratet.

Mina Ohlenschläger hatte zwei Geschwister, Jacob (1868-1940) und Fanny (1866-1951). Ihre Schwester Fanny, Krankenschwester von Beruf, wurde wie sie im Oktober 1940 von Konstanz nach Gurs deportiert. Ihr gelang im April 1941 die Ausreise in die Schweiz, wo sie 1951 in Zürich starb. Ihr Bruder Jacob Haymann starb nach Schikanen durch die Nazis im Februar 1940 in Konstanz. Er war der Vater der bekannten Konstanzer Pianistin Else Haymann, die 1938 nach Palästina emigrieren konnte.

Am 14. August 1896 heiratete Mina Haymann in Konstanz Ernst Ohlenschläger. Ihr Mann war Alt-Katholik. Sie lebte somit in einer sogenannten „Mischehe“. Diesen Begriff verwendeten die Nazis für Ehen zwischen Juden und Nichtjuden. Mit ihrem Mann zog sie nach Bad Mergentheim, wo dieser in der Folgezeit eine Gärtnerei betrieb. Im September 1926 kaufte Ernst Ohlenschläger, der noch in Bad Mergentheim wohnte, ein Haus in der Gottlieber Straße 10; im Juli 1929 übersiedelte das Ehepaar Ohlenschläger nach Konstanz. Nach dem Tod ihres Mannes am 18. Januar 1932 holte Mina Ohlenschläger ihre Schwester Fanny Haymann zu sich in das Haus in der Gottlieber Straße.

Im Juli 1939 vermachte Mina Ohlenschläger einen Teil ihres Hauses testamentarisch an einen weitläufigen Verwandten, dem sie auch das Grundstück von ca. 1000 qm für 12.700 Mark verkaufte. Vom Erlös musste sie allerdings 4000 Mark als sogenannte Judenabgabe an den Staat abführen. Nach dem Krieg wurde ausdrücklich festgehalten, dass die teilweise Übertragung des Hauses und der Verkauf des Grundstücks „in keiner Weise durch die Zwangsmaßnahmen des Nationalsozialismus gegen die jüdische Religion beeinflusst war.“ Es handelte sich also um keine „Arisierung“, wie sie damals bei Beschlagnahme oder erzwungenem Verkauf von jüdischem Eigentum üblich war. Der andere Teil des Hauses ging an jüdische Verwandte von Mina Ohlenschläger, u.a. an Rolf und Werner Merzbacher.

Die reichsweite administrative Erfassung und Kennzeichnung der Juden ließ für ihre Zukunft nichts Gutes erwarten. Am 17. August 1938 mussten alle Juden und Jüdinnen einen zweiten jüdischen Vornamen annehmen: Israel und Sara. Durch die Verordnung über Reisepässe von Juden vom 5. Oktober 1938 wurden die Pässe und Kennkarten aller Juden mit einem roten „J“ gestempelt. Die Volkszählung vom 17. Mai 1939 verlangte von allen Bürgern detaillierte Auskünfte darüber, ob sie Juden sind bzw. ob sie jüdische Eltern und Großeltern haben. Im Konstanzer Adressbuch von 1939 wurden alle Juden in einem separaten Anhang alphabetisch aufgelistet; hier finden sich auch die Namen und Mina Ohlenschläger und Fanny Haymann.

Mina Ohlenschläger war 75 Jahre alt, als sie am 22. Oktober 1940 von Konstanz nach Gurs deportiert wurde.

Nach ihrer Deportation wurde das Mobiliar ihrer Wohnung und ihre Sammlung von 300 Schallplatten, auf die sie sehr stolz war, am 6. und 7.Januar 1941 im Konzil öffentlich versteigert. Auf dieser Auktion wurde der Besitz all jener Juden versteigert, die im Oktober des Vorjahres nach Gurs deportiert worden waren. Das Sparguthaben von Mina Ohlenschläger in der Höhe von über 5000 Mark wurde vom Staat eingezogen.

MIna Ohlenschläger Karteikarte Gurs
MIna Ohlenschläger, Karteikarte Gurs

Im Lager Gurs starben im Winter 1940/41 Hunderte Menschen an Ruhr, an anderen Krankheiten und an Unterernährung. Mina Ohlenschläger erkrankte so schwer, dass sie am 20. März 1941 in das Lager Récébédou bei Toulouse verlegt wurde, wo es eine spezielle Krankenstation für ältere Menschen gab. Allerdings waren auch hier die Verhältnisse schrecklich. „Im Krankenhaus-Lager Le Récébédou kümmern sich drei Ärzte um 1500 alte und kranke Menschen. Einige Lagerinsassen, die noch etwas kräftiger sind, greifen zur Selbsthilfe und pflegen die Schwerkranken, doch natürlich können sie kein geschultes Fachpersonal ersetzen. Unter den Bedingungen der permanenten Mangelernährung wird ihnen jede Anstrengung doppelt mühsam. Die materielle Ausstattung dieser beiden Lager ist zwar besser als anderswo, aber vollkommen unzureichend für alte und kranke Menschen. In Le Récébédou fehlt es nicht nur an Ärzten, sondern auch an ärztlichen Geräten. Selbst die Krankenstationen haben keine Innentoiletten, was bedeutet, dass die Kranken bei Wind und Wetter hinaus zur Latrine müssen. Die Krankenstationen verfügen bis zum Frühjahr 1942 nur über Strohsäcke, es fehlt an Laken, und aufgrund des Brennstoffproblems werden auch sie im Winter 1941/42. nicht geheizt.“ (s. Eggers, 2002)


Von Récébédou wurde sie wenig später in das Lager Nexon verlegt. Nexon diente zunächst als Internierungslager für politische Gefangene, wurde aber ab 1942 zunehmend für die Internierung von Juden genutzt. Aber auch Kranke aus anderen Lagern wurden nach Nexon verlegt.

Hier verstarb Mina Ohlenschläger 77-jährig am 11. Dezember 1942. Die Todesursache ist nicht bekannt.

Liste der Verstorbenen im Lager Nexon aus den Jahren 1942/43
Liste der Verstorbenen im Lager Nexon aus den Jahren 1942/43.
Mina Ohlenschläger : Zeile 26

Der Name Mina Ohlenschläger ist auch auf der Gedenkmauer für die Opfer der Shoa in Paris verzeichnet.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Paul WENDT

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg F 166/3 Nr. 3550, F 202/2 Nr. 387, F 202/2 Nr. 388,
F 202/2, Nr. 0007
Archives départementales des Pyrénées-Atlantiques Pau, Cote AD 64 72W66
ITS Arolsen
Stadtarchiv Konstanz
Bundesarchiv Berlin


Literatur:
1. Christian Eggers: Unerwünschte Ausländer. Juden aus Deutschland und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940–1942, Metropol Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-932482-62-X, S. 108
Serge Klarsfeld, Le mémorial de la deportation des juifs de France. Paris 1978.
Bloch, Erich: Geschichte der Juden von Konstanz im 19. Und 20. Jahrhundert. Konstanz, Rosgarten Verlag, 1971
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Familienmitglieder

Fanny
HAYMANN

1866 - 1951 I
Gottlieber Straße 10

Jacob
HAYMANN

1868 - 1940 I
Schottenstraße 75

Else (Alisa)
HAYMANN

1900 - 1991 I
Schottenstraße 75