Fanny
HAYMANN

1866 - 1951 I
Gottlieber Straße 10
Stolperstein verlegt am 19.05.2024
Fanny HAYMANN Gottlieber Straße 10

Sie überlebte als eine der wenigen das Lager Gurs

Fanny Haymann wurde am 14. Januar 1866 in Konstanz geboren. Ihr Vater Hayum (Heinrich) Haymann (1821-1894) stammte aus Gailingen, ihre Mutter Sara, geb. ca. 1838, geb. Mayer, aus Buchau am Federsee (Oberschwaben). Beide Gemeinden wiesen im 19. Jahrhunderts einen hohen Anteil an jüdischer Bevölkerung auf. In Gailingen gab es mit Leopold Hirsch Guggenheim von 1870 bis 1884 sogar einen jüdischen Bürgermeister. Ihre Eltern haben am 30. Nov 1863 in Gailingen geheiratet.

Fanny Haymann hatte zwei Geschwister, Jakob (1868-1940), und Mina (1865-1942), verheiratete Ohlenschläger. Ihre Schwester Mina wurde im Oktober 1940 von Konstanz nach Gurs deportiert und fand 1942 im französischen Lager Nexon den Tod. Ihr Bruder Jakob starb nach Schikanen durch die Nazis im Februar 1940 in Konstanz. Er war der Vater der bekannten Konstanzer Pianistin Else Haymann, die 1938 nach Palästina emigrierte.

Fanny Haymann war von Beruf Krankenschwester. Wann und wo sie ihren Beruf erlernte, konnte nicht ermittelt werden, wahrscheinlich aber am städtischen Krankenhaus in Konstanz. Vielleicht hängt ihre Berufswahl mit ihrem Judentum zusammen. Denn ganz allgemein gesprochen, spielte die Pflege kranker Menschen im Judentum eine große Rolle. Nach der Thora, der Heiligen Schrift des Judentums, ist die Pflege kranker Menschen eine Mizwa, eine religiöse Pflicht. So gab es in mehreren größeren Städten Deutschlands jüdische Krankenhäuser wie in Berlin, Breslau, Hamburg, Hannover, Köln, München, Mannheim oder Würzburg.

 

Fanny Haymann war unverheiratet. Bis 1922 wohnte sie bei ihren Eltern in der Spanierstraße 22, danach in einer eigenen Wohnung an der Oberen Laube 28. 1926 ging sie wohl in Pension, denn von da ab wohnte sie im Altersheim der Städtischen Sparkasse am Lutherplatz 5. Ab 1932, nach dem Tod von Mina Ohlenschlägers Mann Ernst, wohnte sie bis zu ihrer Deportation im Oktober 1940 bei ihrer Schwester Mina in der Gottlieber Straße 10.

 

Die reichsweite administrative Erfassung und Kennzeichnung der Juden ließ für ihre Zukunft nichts Gutes erwarten. Am 17. August 1938 mussten alle Juden und Jüdinnen einen zweiten jüdischen Vornamen annehmen: Israel und Sara. Durch die Verordnung über Reisepässe von Juden vom 5. Oktober 1938 wurden die Pässe und Kennkarten aller Juden mit einem roten „J“ gestempelt. Die Volkszählung vom 17. Mai 1939 verlangte von allen Bürgern detaillierte Auskünfte darüber, ob sie Juden sind bzw. ob sie jüdische Eltern und Großeltern haben. Auch im Konstanzer Adressbuch von 1939 wurden alle Juden in einem separaten Anhang alphabetisch aufgelistet; hier finden sich auch die Namen Fanny Haymann und Mina Ohlenschläger.

 

Am 22. Oktober 1940 wurden Fanny Haymann und ihre Schwester Mina Ohlenschäger nach Gurs im Südwesten Frankreichs deportiert.

Das Lager Gurs wurde ursprünglich im Frühjahr 1939 für die aus dem Spanischen Bürgerkrieg geflüchteten Kämpfer der Internationalen Brigaden angelegt. Im Oktober 1940 war das Lager in einem denkbar schlechten Zustand. In den Baracken gab es keine Fußböden, Wände und Dächer waren undicht und die sanitären Verhältnisse katastrophal.

 

Im Winter 1940/41 fanden etwa 800 Lagerinsassen den Tod; viele ältere Menschen starben an der Ruhr. Man kann davon ausgehen, dass sich Fanny Haymann als gelernte Krankenschwester trotz ihres schon fortgeschrittenen Alters in der Krankenpflege engagierte. Voller Hochachtung schrieb ein Gefangener in seinen Erinnerungen: „Was jüdische Schwestern und Helferinnen damals geleistet haben, kann voll nur würdigen, wer die ungünstigen Verhältnisse miterlebt hat, unter denen sie damals ihren schweren Dienst antreten mussten.“

 

Berty Friesländer-Bloch, die im Oktober 1940 von Gailingen nach Gurs verschleppt wurde, hat einen ergreifenden Bericht über ihre Internierung in Gurs geschrieben. „Die Tage, Wochen und Monate schleichen dahin. Jede Minute wird uns zur Stunde, jede Stunde zu einer Ewigkeit. Die Baracken sind dunkel, da keine Fenster vorhanden sind, ohne Tageslicht. So kauern wir auf einer Schütte Stroh, welches als Streue auf dem schmutzigen Fußboden liegt. Hunger! Entsetzlicher Hunger beherrscht unser Denken und Fühlen. Elend, Trostlosigkeit, Heimweh zermürben unsere Ichheit. Wassersuppen zweimal täglich und eine kleine Ration Brot! Wie lange werden wir dies aushalten?“.

 

Während ihres Aufenthalts in Gurs nahm Fanny Haymann Kontakt zum Roten Kreuz in Zürich zwecks ihrer Freilassung auf. Das war möglich, weil die Inhaftierten Briefe schreiben und auch Post und Pakete erhalten durften. Ihre Bemühungen hatten Erfolg. Das Schweizer Konsulat in Toulouse stellte ihr ein sauf-conduit aus. Ein sauf-conduit garantiert dem Inhaber freies Geleit. Denn als deutsche Jüdin hätte sie jederzeit von den französischen Behörden verhaftet werden können. Das Rote Kreuz in Zürich übernahm die Kosten für die Fahrt und Unterbringung von Gurs nach Zürich in Höhe bis zu 1000 Schweizer Franken.

 

Am 24. April 1941 durfte sie das Lager Gurs verlassen. Die Fahrt ging über Toulouse und Lyon nach Annemasse an der Grenze zur Schweiz, ca. 10 Kilometer von Genf entfernt. Am 25. April überquerte sie die Grenze zur Schweiz. Mit dem Zug ging es weiter nach Zürich, wo sie in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1941 ankam.

 

Wohl nach ihrer Ankunft in Zürich entzogen ihr die deutschen Behörden die deutsche Staatsbürgerschaft, denn auf ihrer Meldekarte der Stadt Zürich steht der Vermerk „staatenlos“.

Bis zu ihrem Tod wohnte sie im „Schwesternhaus vom roten Kreuz“ in Zürich-Fluntern in der Forsterstraße 50. Ob Fanny Haymann ihre alte Heimatstadt Konstanz jemals wiedergesehen hat, ist nicht bekannt.

 

Fanny Haymann starb im Alter von 85 Jahren am 18. März 1951. Sie wurde in Zürich auf dem jüdischen Friedhof Unterer Friesenberg beerdigt.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Heinrich & Ursula PFETZER

Quellen & Literatur:

Archives départementales des Pyrénées-Atlantiques, cotes 72 W 62 et 198
Stadtarchiv Zürich
Stadtarchiv Konstanz
Staatsarchiv Freiburg, F 166/3, Nr. 3550
Bundesarchiv Berlin

Literatur:
Oktoberdeportation 1940 : Die sogenannte "Abschiebung" der badischen und saarpfälzischen Juden in das französische Internierungslager Gurs und andere Vorstationen von Auschwitz; 50 Jahre danach zum Gedenken. Hrsg. von Erhard R. Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag, 1990, S. 911


Bloch, Erich: Geschichte der Juden von Konstanz im 19. Und 20. Jahrhundert. Eine Dokumentation. Konstanz, Rosgarten Verlag 1971
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Familienmitglieder

Mina
OHLENSCHLÄGER

1865 - 1942 I
Gottlieber Straße 10