Else
BÜCHLER

1909 - 2000 I
Emmishofer Straße 10
Stolperstein verlegt am 01.11.2019
Else BÜCHLER Emmishofer Straße 10

Überlebte, weil ihr Mann sie rettete und sich nicht scheiden ließ

Else Büchler, geb. Kahn, wurde am 24. Mai 1909 in Buchau am Federsee geboren. Ihre Eltern waren Moritz Kahn und Chlothilde, geb. Rothschild. Ihr Vater war Viehhändler. Durch rechtzeitige Emigration überlebte ihre Familie. Ihr Bruder emigrierte 1928 nach Palästina und ihre Schwester 1935 nach Südamerika. 1939 gelang auch ihren Eltern die Flucht nach Argentinien. Sein Wohnhaus in Buchau vermachte Moritz Kahn seinem Schwiegersohn Ludwig Büchler.

In Buchau gab es ein blühendes jüdisches Gemeinwesen mit Synagoge, Friedhof, Ritualbad (Mikwe) und Schule. Um 1900 zählten die jüdischen Geschäftsleute zu den größten Steuerzahlern in der Stadt. Darüber hinaus engagierten sich die Buchauer Juden auch in städtischen Vereinen und nahmen aktiv am politischen Leben teil. 1933 zählte die Stadt ca. 2.300 Einwohner, davon etwa knapp 200 Juden. Das Verhältnis zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung war gut; in den ersten Jahren der NS-Herrschaft gelang es nicht, die hier ansässige nichtjüdische Bevölkerung gegen den jüdischen Bevölkerungsteil aufzubringen.

1926 lernte Else Kahn ihren zukünftigen Mann Ludwig Büchler kennen; im Dezember 1930 fand in Buchau die Hochzeit statt. Ihr Mann war Baumeister beim Tiefbauamt der Stadt Konstanz. Bis zur Macht­übernahme lebte das Ehepaar Büchler unbehelligt von antisemitischen Anfeindungen in Konstanz. Allerdings hatte Else Büchler schon lange vor 1933 keine Bindungen mehr zum Judentum.

Nach der Machtübernahme der Nazis geriet ihr Mann ihretwegen bei seinem Arbeitgeber zunehmend unter Druck. Nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 galt ihr Mann jetzt als „jüdisch versippt“. 1936 wurde er deswegen aus der Nationalsozialistischen Volkswohl­fahrt (NSV) ausgeschlossen. Der Kreisleiter der NSDAP Konstanz, Carl Engelhardt, warf ihrem Mann einen „Mangel an Rasseinstinkt“ vor. Dabei genoss Else Büchler offenbar den Respekt der Stadtoberen, denn nicht anders ist die Aussage von Bürgermeister Leopold Mager zu bewerten, dass Else Büchler „offensichtlich nicht der Typ der Jüdin“ sei.

Im Januar 1939 musste Else Büchler, wie alle deutschen Juden, zu ihrem ersten Vornamen Else den zweiten jüdischen Vornamen „Sara“ hinzufügen. Im Januar 1938 wurde ihr Pass eingezogen und sie bekam eine Kennkarte, die mit einem „J“ (Jude) gekennzeichnet war. Allerdings musste Else Büchler, da sie in einer „privilegierten Mischehe“ lebte, keinen Judenstern tragen.

Im Alltag allerdings war Else Büchler trotzdem zahllosen Schikanen, Ausgrenzungen und Kränkungen ausgesetzt. Sie durfte nur bis um 9 Uhr morgens einkaufen, ehe­malige Freunde und Bekannte wechselten auf die andere Straßenseite, wenn sie ihrer ansichtig wurden, ihr wurde die Mitgliedschaft im Ruderclub „Neptun“ gekündigt, was ihr als begeisterte Wassersportlerin sehr weh tat. Obwohl sie in einer „privilegierten Mischehe“ lebte, galt sie bei den Behörden und Zeitgenossen trotzdem als Jüdin und durfte ab Oktober 1938 nicht mehr das Kur- und Hallenbad und das Strandbad Horn (Hörnle) benutzen.

Schilder der Stadtverwaltung mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ zeigten ihr in drastischer Form, dass sie Bürgerin zweiter Klasse war. Sie durfte mit ihrem Mann keine Gasthäuser und Cafés besuchen und auch der Besuch von Kino- und Theater, Konzerten und Ausstellungen waren ihr ab November 1938 untersagt. Da war es natürlich nur ein schwacher Trost, dass wegen der Verdunklung der Stadt von November 1940 bis September 1944, analog zur schweizerischen Nachbar­gemeinde Kreuzlingen, das kulturelle Leben in den Abendstunden ohne fast zum Erliegen gekommen war. Von all den Schikanen gegen Juden war natürlich auch Else Büchlers Mann betroffen. Aber unbeirrbar stand er zu seiner Frau. Auf seinem Weg ins Büro musste Ludwig Büchler zudem ab Sommer 1936 täglich am „Stürmer-Kasten“ in der Hussenstraße 21 vorbei, wo das berüch­tigte antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ öffentlich ausgehängt war.

Von Hausbewohnern musste sich Else Büchler immer wieder Beschimpfungen und Drohungen gefallen lassen. Von Sonderrationen bei der Lebensmittelzuteilung war sie ausgeschlossen. Und da sie nicht genau wusste, welche Rechte sie eigentlich hatte, musste sie mit ständigen Übergriffen von Gestapo und Polizei rechnen. Sie habe dauernd in Angst gelebt, ihr Mann habe ihr öfter eingeschärft: „Wenn ich nicht da bin, mach nicht auf.

Es gab aber auch Menschen in Konstanz, die Else Büchler unterstützten und sich von der antisemitischen Propaganda der Nazis nicht beeinflussen ließen. In einem Interview von 1988 nennt sie Gemüsebauern aus dem Konstanzer Stadtteil Paradies, einen Metzger, der ihr eine Leber zusteckte, Nachbarn, die für sie Lebens­mittel vom Markt mitbrachten. Sie nennt Geschäftsleute wie Bernhard Raetz von der Parfümerie Gradmann oder Ernst Straub von der Eisenhandlung Straub auf der Marktstätte.
 

Im Januar 1939 musste Else Büchler, wie alle deutschen Juden, zu ihrem ersten Vornamen Else den zweiten jüdischen Vornamen „Sara“ hinzufügen. Wie es scheint, hat sie aber noch einen weiteren jüdischen Vornamen angenommen, nämlich „Bela“. Bela leitet sich aus dem Französischen von der/die „Schöne“ her. Bela klang nicht jüdisch und war bei Juden ein eher wenig gebräuchlicher Vorname. Im Januar 1938 wurde ihr Pass eingezogen und sie bekam eine Kennkarte, die mit einem „J“ (Jude) gekennzeichnet war.
 

Am 7. Juli 1939 wurde Else Büchler verhaftet, weil sie 1935 gegen Devisenbestimmungen verstoßen haben sollte. Am 15. August 1939 wurde sie deswegen angeklagt. Für ihre damalige jüdische Freundin Herta Wiehler in Kreuzlingen hatte sie ein Päckchen mit einer größeren Geldsumme (6000 bis 7000 Reichsmark) über die Grenze gebracht, ohne sich über deren genaue Höhe zu vergewissern. Dass sie erst vier Jahre später und auf der Grundlage eines Gesetz angeklagt wurde, dass erst im Dezember 1938 erlassen worden war, zeigt, dass an Else Büchler als Jüdin ein Exempel statuiert werden sollte. Es ist zu vermuten, dass ihr Mann durch das Verfahren bloßgestellt werden sollte. Else Büchler wurde zu 4 Monaten Gefängnis und 500 Reichs­mark Geldstrafe plus Gerichts­kosten in Höhe von 226 Reichsmark verurteilt, die er in Raten abstotterte. Prompt machte die Stadt Konstanz wieder Druck auf Ludwig Büchler, sich von seiner Frau zu trennen. In der Anklageschrift wurde Else Büchler übrigens Bela Sara Büchler genannt.
 

In den Morgenstunden des 22. Oktobers 1940 wurden 108 Konstanzer Juden von der Gestapo aus ihren Wohnungen geholt und zum Bahnhof Petershausen gebracht. Von dort wurden sie einer mehrtätigen Eisenbahnfahrt nach Gurs in Südwestfrankreich in ein Lager gebracht. Die Gestapo wollte auch Else Büchler verhaften, obwohl sie nicht auf der amtlichen Deportationsliste stand. Eine Nachbarin verständigte ihren Mann, der zu der Zeit bei der Wehrmacht war und in Donaueschingen französische Kriegsgefangene bewachte. Ludwig Büchler setzte sich umgehend telefonisch mit der Gestapo-Zentrale in Konstanz in Verbindung und erreichte, dass seine Frau nicht deportiert wurde. Da Else Büchler in einer „privilegierten Mischehe“ lebte, war sie eigentlich vor Deportationen geschützt. Wahrscheinlich handelte es sich um die eigenmächtige Aktion eines übereifrigen Gestapo-Mannes.
 

Am 25. Mai 1942 kam ihre Tochter Monika auf die Welt. Im Krankenhaus wurde sie zuvorkommend und korrekt behandelt, Else Büchler bekam sogar ein Einzelzimmer.
 

Monika Büchler, verheiratete Würtz, wurde eine bekannte Journalistin im Südwesten Deutschlands. Sie starb am 26. März 2016.
 

Interessant ist, dass der Name Else Büchler auf einer Liste von polnischen Juden in Konstanz vom 5. März 1946 aufscheint. Man kann vermuten, dass Else Büchler durch Beziehungen ihres Mannes zur französischen Besatzungsmacht auf diese Liste platziert wurde, erhielten doch die Juden, die die Konzentrationslager überlebt hatten, besondere Vergünstigungen.
 

Soweit bekannt, ist Else Büchler eine von drei Jüdinnen in Konstanz, die die nationalsozialistische Gewalt­herrschaft überlebt haben. Möglich war das nur, weil alle drei Frauen in einer „privilegierten Mischehe“ lebten und somit vor der Deportation geschützt waren. Else Büchler und ihr nichtjüdischer Mann haben sich mutig den national­sozialistischen Machthabern entgegengestellt, für ihre Liebe gekämpft, Zivilcourage bewiesen und letztlich mit viel Glück überlebt.
 

Else Büchler starb hochbetagt am 2. Oktober 2000 in Konstanz.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Andreas Braun, Annette Uhl

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg, Entschädigungsakte Ludwig Büchler, D 180/2, 47475.
Staatsarchiv Freiburg, Anklage gegen Else Büchler wegen Devisenvergehens, D 81/1, 551..
Stadtarchiv Konstanz, Personalakte Ludwig Büchler, S XIX.
Erhard Roy Wiehn (Hg,), "Ständig in Angst gelebt. Else Büchler über ihr Leben als Jüdin während der NS-Zeit in Konstanz 1930-1945". Konstanz: Hartung-Gorre Verlag, 2019. Hier verfügbar, Abruf 3.1.2024.
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