Helmut
SPIEGEL

1909 - 1942 I
Bahnhofstraße 12
Stolperstein verlegt am 22.05.2009
Helmut SPIEGEL Bahnhofstraße 12

Trotz zwischenzeitlicher „privilegierter“ Phasen endete seine Geschichte tragisch, als er 1942 nach Auschwitz deportiert wurde

Helmut Spiegel wurde am 30. September 1909 als Sohn von Betty und Leopold Spiegel in der Bahnhofstr. 12 geboren, seine Schwester Margot im Frühjahr 1914.

Von der Verschärfung der Lebensbedingungen, der sich die jüdischen Einwohner von Konstanz insbe­sondere nach der so genannten „Reichs­pogrom­nacht“ vom 9./10. November 1938 ausgesetzt sahen, blieben auch die Spiegels nicht verschont. Vater Leopold wurde – wie viele andere männliche jüdische Bürger der Stadt auch – in das KZ Dachau verbracht und dort vom 12. bis 20. November 1938 in „Schutzhaft“ – wie die zynische Begründung der NS-Machthaber lautete – genommen. Glücklicherweise nicht erfasst wurde der altersbedingt als leidens­fähiger einzuschät­zende Sohn Helmut.

Zusammen mit rund 6.500 jüdischen Bewohnern der Reichsgaue Baden und Saarpfalz wurden die Spiegels in das Internierungslager Gurs, am Fuße der Pyrenäen, transportiert. Die Lebens­bedingungen dort waren erbärmlich: Primitive Unterkünfte, unzu­reichen­de Ernährung sowie katastrophale hygieni­sche Verhältnisse! Grippe- und Ruhr-Epidemien forderten frühzeitig die ersten Opfer. Leopold und Helmut Spiegel, die mit den meisten männlichen Konstanzern im Ilôt E, Baracke 16, untergebracht waren, überstehen die harten Wintermonate. Das gilt auch für Mutter Betty, die im (Frauen-) Ilôt K, Baracke 13, einquartiert war.

Im April 1941 verbesserten sich die Lebens­umstände der drei Spiegels deutlich: Dem von einem Lagerarzt unterstützten Antrag auf einen Gene­sungsurlaub in einem Altersheim wird stattgegeben. Mit Hilfe einer von der Israelitischen Gemeinde in der Schweiz gestellten Garantie, welche die Übernahme der Unterbringungskosten absichert, erhalten die Spiegels den congé de maladie, den Krankheitsurlaub – zunächst begrenzt auf einen Monat, vom 19. April bis 16. Mai 1941. In der Folge wird dieser Urlaub im vierteljährlichen Rhythmus verlängert – letztmals bis zum 4. September 1942.

Betty und Helmut Spiegel waren kurz zuvor von Männern der schwarzuniformierten Gardes Mobiles de Réserve (GMR), einer erst 1941 gegründeten Polizei­einheit der Vichy-Regierung, aus der Pension im Schloss Idron zwangsweise herausgeholt und ins Lager Gurs verfrachtet worden. Jedoch sollte Gurs nur eine kurzzeitige Zwischenstation bleiben: Im Zuge der bereits seit März 1942 auch in Frankreich angelaufenen Maßnahmen zur so genannten „Endlösung der Judenfrage“ wurden auch aus dem von den Deutschen nicht besetzten Teil Frankreichs nach und nach rund 10.000 ausländische und staatenlose Juden in die Arbeits- und Vernichtungslager im Osten deportiert.

Vater Leopold, mittlerweile 66 Jahre alt, wurde von den Polizeischergen nicht erfasst und hätte in Idron bleiben können. Er fiel unter die Ausnahme­bestim­mungen, nach denen „Greise über 60 Jahre“ generell von der Abschiebung aus der freien Zone verschont bleiben konnten. Diese Option schlug Leopold Spiegel aus: Seinem Gewissen folgend räumte er der Treue- und Fürsorgepflicht seiner Familie gegenüber Vorrang ein und gab die Sicherung seines eigenen Lebens preis. Sein Leben sowie das seiner Frau Betty und seines Sohnes Helmut endete in Auschwitz – vermutlich am 6. September 1942, dem Ankunftstag des Transports Nummer 28 aus Drancy.

Bis Mitte des Jahres 1942 genießen die beurlaubten Internierten ihren „privilegierten“ Status in Idron. Im Zuge der dann auch im unbesetzten Frankreich einsetzenden Razzien und Deportationen der ausländischen und staatenlosen Juden kommen die Häscher der Vichy-Polizei am 26. August in das Schloss Idron und nehmen alle Insassen im Alter bis zu 60 Jahren mit. Dazu gehören auch Betty und Helmut Spiegel. Die Ergriffenen werden zunächst wieder in das Lager Gurs gebracht, um von dort weiter in die besetzte Zone, in das Sammellager Drancy bei Paris, transportiert zu werden. Noch am selben Tag, dem 26. August, beantragt Leopold Spiegel bei der örtlichen Polizeibehörde Idron die Überstellung nach Gurs zwecks Familienzusam­menführung. Dem Antrag wird stattgegeben und er wird am 31. August, gegen 9 Uhr, in das Lager Gurs, Ilôt F, eingewiesen.

Schon am nächsten Tag, dem 1. September, brachte ein Transport die „zusammengeführte“ Familie Spiegel in das Sammellager Drancy. Von dort traten sie am 4. September 1942 mit dem Convoi Nummer 28 ihre letzte Fahrt nach Auschwitz-Birkenau an. Ankunftszeitpunkt in Auschwitz war der 6. September 1942. Mit Ausnahme des knapp 33-jährigen Helmut Spiegel hatten die übrigen Konstanzer wegen ihres fortgeschrittenen Alters keine Chance, an der berüchtigten Rampe von Birkenau für den Arbeitseinsatz „selektiert“ zu werden. Es ist davon auszugehen, dass sie noch am gleichen Tag, am 6. September 1942, in die Gaskammer geführt wurden.

Im Falle Helmut Spiegel gab es zwei Gelegenheiten, für Arbeitseinsätze ausgesondert zu werden: Zuerst wurden im oberschlesischen Kosel eine nicht bekannte Anzahl junger Männer durch die Organi­sation Schmelt aus dem Zug geholt. Eine weitere Möglichkeit, einem Arbeitslager zugeteilt zu werden, ergab sich dann noch bei Ankunft in Auschwitz. Welches Schicksal aber Helmut Spiegel tatsächlich beschieden war, ist nicht nachvollziehbar, da die Selektionslisten für diesen Transport – laut Auskunft des Museums Auschwitz – nicht mehr auffindbar sind.

Für alle drei Spiegels wurde im Rahmen des Wieder­gutmachungsverfahrens vom Amtsgericht Konstanz als Todestag der 31. August 1942 festgesetzt.

Recherche: Hans-Hermann Seiffert
Patenschaft: Rosemarie Classen

Quellen & Literatur:

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Familienmitglieder

Betty
SPIEGEL, geb. GUTMANN

1886 - 1942 I
Bahnhofstraße 12

Leopold
SPIEGEL

1876 - 1942 I
Bahnhofstraße 12

Margot
SPIEGEL, verh. EVANS

1914 - 1942 I
Bahnhofstraße 12