Nicht mehr viel Zeit blieb dem jüdischen Ehepaar Heinrich und Berta Löwenstein in Konstanz, um der Internierung und der anschließend von den NS-Machthabern betriebenen „Endlösung“ zu entgehen. Bereits gut ein halbes Jahr später, nachdem das Ehepaar Löwenstein am 10. März 1940 von Genua aus an Bord des Schiffes „Neptunia“ Europa in Richtung Buenos Aires/Argentinien verlassen hatte, wurde am 22. Oktober des gleichen Jahres die Mehrzahl der noch in Konstanz verbliebenen Juden erfasst und in das französische Internierungslager Gurs abgeschoben.
Von dieser Maßnahme blieben auch jene Bürger nicht ausgenommen, die bereits Auswanderungsanträge gestellt hatten und auf die Einreisegenehmigung der Aufnahmeländer warteten – wie zum Beispiel das Konstanzer Ehepaar Salomon und Toni Guggenheim, die ebenfalls nach Argentinien ausreisen wollten. Sie und die meisten anderen der in Gurs festgehaltenen Juden sollten knapp zwei Jahre später im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet werden.
Zu verdanken hatten die Löwensteins die geglückte Ausreise der Hartnäckigkeit ihres bereits in Buenos Aires befindlichen Sohnes Kurt. Diesem gelang es, im Juli 1939 durch eine Eingabe beim argentinischen Landwirtschaftsministerium die ein Jahr zuvor vom argentinischen Außenministerium verfügte Einreisesperre für ausländische Juden und politisch Verfolgte zu unterlaufen. Kurt Löwenstein argumentierte, dass seine Eltern wertvolle Arbeitskräfte für die einheimische Landwirtschaft seien, und er verbürgte sich, notfalls für den Lebensunterhalt seiner Eltern in Argentinien aufzukommen. Damit erhielten seine Eltern eine Ausnahmegenehmigung für die Einreise nach Argentinien.
Das Ehepaar Heinrich und Berta Löwenstein, geb. Guggenheimer, war kurz nach der Heirat Ende 1912 nach Konstanz gezogen, mit der Wohnadresse Blarerstraße 32. Heinrich, der einen Viehhandel betrieb, stammte aus Rexingen bei Horb, seine Frau Berta aus dem oberschwäbischen Laupheim.
In Konstanz kamen dann die Söhne Walter im Jahr 1914 und Kurt im Jahr 1916 zur Welt. Beide Söhne besuchten sowohl die Zeppelin-Oberrealschule und daran anschließend die Handelsschule, mit dem Ziel später einen Handelsberuf auszuüben.
Als im Zuge der von den NS-Machthabern ab 1935 erlassenen Nürnberger (Rasse)Gesetze das Berufsverbot über die jüdischen Gewerbetreibenden verhängt wurde, verarmte der Viehhändler Heinrich Löwenstein sehr schnell. Im Zuge des nun mehrfachen Wechsels in kleinere Wohnungen mussten sie Teile der Wohnungseinrichtung und auch Schmucksachen verkaufen, um die größte Not zu lindern. Zusätzlich erhielten sie Unterstützungsleistungen von der städtischen Fürsorge und vom israelitischen Frauenverein.
Bald erkannten die Eltern, dass die zunehmende Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung ihren Kindern keine Zukunftsperspektiven in Deutschland mehr bot. Sie organisierten deshalb für beide Söhne bereits im Jahr 1936 die Ausreise nach Argentinien: Walter reiste im März 1936 über Le Havre in Frankreich aus, Kurt wenig später im Juli des gleichen Jahres von Rotterdam aus.
Tragischerweise starb Walter Löwenstein nur drei Monate nach der Ankunft in Buenos Aires, so dass er seinen nur wenige Monate später einreisenden Bruder Kurt bei dessen Ankunft in Buenos Aires nicht mehr begrüßen konnte. Kurt Löwenstein baute sich in Buenos Aires eine berufliche Existenz als Handelsreisender im metallurgischen Gewerbe auf, heiratete die über Bolivien nach Argentinien eingewanderte Breslauer Jüdin Renate Grünberg und gründete mit ihr eine Familie, die mit der Geburt des Sohnes Miguel und der Tochter Liliana komplettiert wurde.
Die zunächst noch in Konstanz gebliebenen Eltern Heinrich und Berta Löwenstein hatten bis zu ihrer Auswanderung noch harte Zeiten zu überstehen: Im Anschluss an die Reichspogromnacht wurde der Weltkrieg-I-Teilnehmer Heinrich Löwenstein am 10. November 1938 – zusammen mit den meisten jüdischen Männern in Konstanz – für zwei Monate in das KZ Dachau eingeliefert. Er wurde mit der Haftnummer 22073 registriert.
Ab Mitte 1939 wurde vom städtischen Wohnungsamt die gesetzlich verfügte Aufhebung des Kündigungsschutzes für jüdische Mieter konsequent umgesetzt. Das hatte zur Folge, dass die jüdischen Mieter jene Wohnungen verlassen mussten, die „arischen“ Eigentümern gehörten. Auch das Ehepaar Löwenstein musste noch einmal umziehen: Die letzte Adresse vor der Ausreise war dann die Saarlandstraße (heute Bodanstraße) 22 – ein sogenanntes „Judenhaus“.
In Argentinien war die bis auf den verstorbenen Sohn Walter wieder vereinte Familie Löwenstein zwar vor den Verfolgungen der NS-Schergen sicher. Jedoch mussten sie auch noch Einschränkungen ihrer Freiheit erleben: Kurz vor Kriegsende erklärte Argentinien sowohl dem Deutschen Reich als auch Japan noch den Krieg. Daraufhin wurden die Staatsbürger dieser Länder – auch die Löwensteins – vorübergehend als „Ausländer unter Aufsicht“ behandelt.
Berta Löwenstein überlebte ihren Mann noch um zehn Jahre, sie starb im September 1965 im Alter von 79 Jahren.