Selma
FUCHS

1882 - 1944 I
Döbelestraße 2
Stolperstein verlegt am 09.07.2018
Selma FUCHS Döbelestraße 2

1940 wurde Selma Fuchs von der Gestapo verhaftet und nach Gurs deportiert

Selma Fuchs wurde am 4. April 1882 in Meersburg geboren. Die Eltern von Selma Fuchs waren Jakob Koblenzer (1844-1927) und Sara, geb. Erlanger (1855-1934). Beide stammten aus Buchau am Federsee in Oberschwaben, wo es eine prosperierende jüdische Gemeinde mit Synagoge, Ritualbad (Mikwe), Schule und Friedhof gab. 1872 kauften Jakob Koblenzer und sein Bruder Adolf Philipp (1840-1914) eine Weberei in Meersburg. Um 1900 verkauften sie die Weberei an ihre Neffen Adolf und Jakob Erlanger, die ebenfalls aus Buchau stammten.

Nach dem Verkauf der Weberei (die spätere Hämmerle-Fabrik) um die Jahrhundertwende zog sich Jakob Koblenzer mit seiner Familie als Privatier nach Konstanz in das 1904 erbaute Haus in der Döbelestraße 2 zurück. Politisch betätigte er sich für die Deutsche Freisinnige Partei, für die er auch Stadtverordneter war. Die Freisinnigen waren dem Linksliberalismus verpflichtet und setzten sich für die Parlamentarisierung des Kaiserreichs, die Trennung von Kirche und Staat sowie die Gleichberechtigung aller Religionen ein. Jakob Koblenzer starb 1927 in Konstanz, seine Frau Sara 1934 in Mannheim. Beide wurden auf dem jüdischen Friedhof in Konstanz bestattet.

Das Ehepaar Koblenzer hatte zwei Kinder, Arthur und Selma. Arthur Koblenzer, geb. 1874 in Meersburg, studierte in Heidelberg Medizin und führte später eine Arztpraxis in Mannheim. Er wurde am 22. Oktober 1940 von Mannheim nach Gurs deportiert. Anfang August 1942 wurde er in das Sammellager Drancy bei Paris verlegt und von dort nach Auschwitz gebracht, wo er am 10. August 1942 ermordet wurde.

Selma Koblenzer heiratete 1901 in Konstanz den Anwalt Sigmund Fuchs aus Karlsruhe.

Die Familie Fuchs lebte im Haus des Schwiegervaters Jakob Koblenzer in der Döbelestraße 2. Sigmund Fuchs war ein erfolgreicher Anwalt, der zeitweise in der Anwaltskanzlei des bekannten Martin Venedeys arbeitete. Im Dezember 1936 gab Sigmund Fuchs seine Zulassung als Anwalt am Landgericht zurück, da er als jüdischer Anwalt kaum noch Klienten unter der nichtjüdischen Bevölkerung von Konstanz fand. Sigmund Fuchs war ein säkularer Jude, d.h. er war nicht religiös, ging aber an den jüdischen Feiertagen in die Synagoge. Bezeichnenderweise verfügte Sigmund Fuchs 1930 in seinem vorläufigen Testament, dass er nach seinem Tode eingeäschert werden wollte und keinen Rabbiner bei seiner Beerdigung wünschte.

Am 5. Dezember 1905 wurde das einzige Kind von Sigmund ud Selma Fuchs, die Tochter Irene Fuchs geboren. Sie wurde im liberalen Geist erzogen. Bei ihrer Erziehung gab es wohl Probleme. In ihrer Not baten die Eltern Conrad Gröber, den katholischen Pfarrer der Dreifaltigkeitskirche in Konstanz, um pädagogischen Rat. Mit Conrad Gröber hatte ihre Tochter Irene dann später ein Liebesverhältnis, das erst Anfang der 30er Jahre mit dessen Hinwendung zum National­sozialis­mus ein Ende fand. Ab 1925 studierte Irene Fuchs Jura in Freiburg und Heidelberg; im Frühjahr 1929 machte sie das erste juristische Staatsexamen und im Februar 1932 promovierte sie in Heidelberg. 1934 unternahm Irene Fuchs ihre erste Reise nach Palästina. In einem Brief vom 30. August 1934 mahnte Selma Fuchs ihre Tochter, im Heiligen Land keine Muscheln zu essen. Muscheln galten nach den Jüdischen Speisegesetzen (Kaschrut) als unrein, als nicht koscher.
 
Offensichtlich war Selma Fuchs religiöser eingestellt als ihre Tochter und ihr 1937 verstorbener Mann. Anfang Oktober 1934 kehrte ihre Tochter nach Konstanz zurück. Von Frühjahr 1937 bis April 1938 weilte Irene Fuchs erneut in Palästina. Ab April 1938 hielt sich Irene Fuchs illegal in der Schweiz auf, in Carabietta, einem kleinen Ort im Tessin. Im Frühjahr 1939 wurde sie aus der Schweiz ausgewiesen. Im Herbst 1939 gelang Irene Fuchs mit Hilfe ihres Karlsruher Cousins Heinz Siegmund Fuchs, der schon 1933 nach London emigriert war, die Ausreise nach London. 1950 wurde Irene Fuchs britische Staatsbürgerin; 1951 starb sie in London.
 
Nach der Emigration ihrer Tochter und dem Tod ihres Mannes Sigmund Fuchs am 29. November 1937 (er wurde als erster Jude auf dem neu angelegten jüdischen Friedhof in der Schweizer Nachbargemeinde Kreuzlingen-Bernrain beer­digt) wurde es recht einsam um Selma Fuchs. Viele Bekannte aus der jüdischen Gemeinde Konstanz waren emigriert, als Jüdin wurde sie von der Konstanzer Gesellschaft zudem bewusst oder aus Angst gemieden. In einem Brief vom 23. Juni 1938 an ihren Neffen Heinz Siegmund Fuchs nach London klagte sie: „Ich bin sehr einsam und denke jeden Morgen, wenn ich nur nicht mehr aufstehen müßte.“ Und weiter heißt es in dem Brief: „Wenn nicht mein kleiner Hund wäre, den ich von Irene geerbt hätte, würde ich sicher liegen bleiben.“ Am Schluss des Briefes bedauert sie, dass sie keinen Beruf erlernt hatte.
 
Im Dezember 1938 beantragte Selma Fuchs bei der amerikanischen Botschaft in Stuttgart ein Einreisevisum für die USA. Ihr Antrag hatte die sehr hohe Registrierungs­nummer 45509, die wenig Hoffnung auf eine baldige Visaerteilung verhieß. Für sie bürgte eine gewisse Selma Katz in New York, wahrscheinlich eine weitläufige Verwandte ihres Mannes Sigmund Fuchs.
 
Selma Fuchs blieb nicht lange allein in ihrem Haus. Auf Grund des „Gesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 quartierte das städtische Wohnungsamt andere Konstanzer Juden bei ihr ein, die aus ihren Wohnungen herausgekündigt worden waren. Das Haus Döbelestraße 2 war jetzt ein sogenanntes Judenhaus, d.h. ein Haus, das einem Juden (einer Jüdin) gehörte und in dem nur Juden wohnen durften. So wohnte in dem Haus ab Mai 1939 auch Jakob Erlanger, der einst die Weberei in Meersburg von ihrem Vater gekauft hatte, und ab im Oktober 1939 auch dessen Neffe Benno Baum mit seiner Frau. Benno Baum gelang später die Emigration in die USA, Jakob Erlanger wurde im Oktober 1940 nach Gurs deportiert; er überlebte das Lager und starb 1945 in einem Altersheim in Villefranche-de-Rouergue im Departement Aveyron im Südwesten Frankreichs.
 
Am Vormittag des 22. Oktober 1940 wurde Selma Fuchs zusammen mit 108 Konstanzer Juden von der Gestapo verhaftet und vom Bahnhof Petershausen in einer fünf­tägigen Bahnfahrt nach Gurs im äußersten Südwesten Frankreichs deportiert. Was für ein Gegensatz zur vorher großbürgerlichen Lebensweise im eigenen Haus mit allem Komfort! Die Verhältnisse im Lager waren katastrophal. Die Gefangenen mussten anfangs teilweise auf dem nackten Erdboden schlafen, später auf Strohsäcken. Das Gelände war unbefestigt, so dass die Wege bei schlechtem Wetter schlammig und kaum begehbar waren. Unterernährung, unzumutbare hygienische Bedingungen und Krankheiten (u.a. die Ruhr) prägten die Situation im Lager. Zwischen Oktober 1940 und März 1941 zählte man im Lager 655 Tote. Hilfslieferungen des Roten Kreuzes und der Kreuzlinger jüdischen Gemeinde konnten die Not im Lager nur geringfügig lindern.

In Gurs erreichte Selma Fuchs die Nachricht, dass ihr Visumantrag von 1938 positiv beschieden worden war. Sie erhielt daraufhin die Erlaubnis, nach Marseille zu fahren, von wo aus die Schiffe in die überseeischen Länder ablegten. Nachweislich hielt sie sich am 26. Juli 1941 in Marseille auf. Sie wohnte im Hotel „Terminus des Ports“, das ein Lager im Kleinen war und von französischen Gendarmen bewacht wurde.
 
Die Frauen, darunter auch Mütter mit Kindern, durften das Hotel nicht verlassen. In diesem Hotel waren durchwegs Frauen untergebracht, etwa Hundert an der Zahl, die Aussicht auf die Ausreise hatten. Manchen von ihnen fehlten noch einige Papiere, andere warteten auf eine Schiffs­passage. Warum Selma Fuchs nicht in die USA ausreisen konnte, ist nicht bekannt: Vielleicht waren ihre Papiere nicht in Ordnung, vielleicht hatte ihre New Yorker Bekannte Selma Katz die Schiffspassage nicht bezahlt.
 
Auf Betreiben der deutschen Behörden wurden das Hotel „Terminus“ wie auch andere Hotels in Marseille, in denen Frauen interniert waren, Anfang August 1942 geschlossen. Die Frauen, die keine gültigen Ausweispapiere hatten, darunter auch Selma Fuchs, wurden in das Sammellager Drancy bei Paris gebracht. Fast zwei Jahre lebte sie nun im Lager Drancy, immer den Tod vor Augen. Am 27.3.1944 wurde Selma Fuchs schließlich mit dem Eisenbahn-Transport Nr. 70 nach Auschwitz deportiert und dort am 30. März 1944 ermordet.
 
Das Haus Döbelestraße 2 wechselte in der Folge mehrmals den Besitzer, wie die entsprechenden Dokumente im Grundbuchamt Konstanz belegen. Zunächst wurde das Haus von Staats wegen geplündert, indem der Hausrat am 13. Oktober 1941 in einer Lagerhalle in der Hafenstraße 13 offiziell versteigert wurde. Der Reinerlös der Versteigerung ging an die Konstanzer Filiale der Deutschen Bank, die das Geld an das Reichs­finanz­ministerium weiterleitete. Auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 entzog das Deutsche Reich allen Juden, die im Ausland weilten, die deutsche Staatsbürgerschaft und konfiszierte ihr Vermögen. Unter diese Verordnung fielen auch alle bis dahin ermordeten und deportierten Juden, also auch Selma Fuchs. Am 15. Januar 1943 erfolgte die notarielle Übertragung des Hauses auf die Reichsfinanz­verwaltung, die das Haus am 26. Februar 1944 an die NSDAP verkaufte. Nach dem Krieg fiel das Haus an das Land Baden; 1948 ist laut Konstanzer Adressbuch der „Landesfiskus“ als Besitzer angegeben. Am 27. April 1949 erfolgte die Rückgabe des Hauses an Selma Fuchs‘ Tochter Irene. Diese vermachte das Haus dann testamentarisch an ihre Cousine Elisabeth Marx. Am 18. März 1952 verkaufte Elisabeth Marx, die in London lebte, das Haus an die Stadt Konstanz.
 
Das Haus steht heute noch – doch kaum jemand kennt das tragische Schicksal der Familie Fuchs.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Belladonna. Frauen & Kultur e.V.

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg, F 166/3 Nr. 4961 und F 196/1 Nr. 1751.
Stadtarchiv Konstanz.
Grundbuchamt Konstanz.
Wellcome Library London.
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Familienmitglieder

Irene
FUCHS

1905 - 1951 I
Döbelestraße 2