Otto Emil
WELTIN

1903 - 1944 I
Mainaustraße 158
Stolperstein verlegt am 21.10.2021
Otto Emil WELTIN Mainaustraße 158

Zwangssterilisiert und durch systematisches Ver­hungern­lassen ermordet

Otto Emil Weltin wurde am 10. März 1903 als zweites von drei Kindern der Eheleute Emilian Weltin, Metzger, und dessen Ehefrau Marie Weltin, geb. Buhl, in Konstanz geboren.

Otto sei ein völlig normal entwickeltes Kind gewesen, aber immer sehr ängstlich und nervös, hieß es in Familienkreisen. Dass er für die Nachfolge des Vaters im Metzgereibetrieb nicht in Betracht kam, stellte sich bereits früh heraus: Otto konnte kein Blut sehen. So besuchte er die Oberrealschule in Konstanz und trat nach der Obersekunda in das Lehrerseminar in Meersburg ein, wo er seine Ausbildung an Ostern 1922 abschloss.

Bereits im Lehrerseminar fiel er aber durch sein nervöses und unruhiges Wesen auf, schlief nachts schlecht und sprach stets vor sich hin. In den verschiedenen Lehrerstellen in Allensbach, Oberglashütte und Buchheim hielt es ihn nie lange.
Deshalb schied er Ende September 1926 aus dem Schuldienst aus, und da er ein begabter Klavier- und Orgelspieler war, nahm er am Konservatorium Karlsruhe eine Ausbildung zum Musiklehrer auf. Mit seinem außergewöhnlichen Talent an der Orgel war diese Ausbildung für ihn ein Herzenswunsch.

Als er dort aber zu fantasieren begann und Suizidgedanken entwickelte, holten seine Eltern ihn zurück nach Hause. Dort begab er sich im Juni 1927 erstmals in die Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz. Es folgten weitere jeweils mehrmonatige Anstaltsaufenthalte.
Dort und auch in anderen Sanatorien und Pflegeanstalten wie Rottenmünster konnten seine Verhaltensauffälligkeiten nicht geheilt werden. Er hatte heftige aggressive Anfälle, fühlte sich ständig verfolgt, hatte manische wie auch depressive Phasen.

Am 21. Februar 1934 – gerade war das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft getreten – zeigte der Leiter der Heilanstalt Rottenmünster Otto Emil Weltin beim Bezirksarzt Dr. Ferdinand Rechberg an: Der Vater habe seinen Sohn am 2. Januar 1934 mit ungeheilter Schizophrenie mit nach Hause genommen.

Die Verhandlung über die Sterilisation fand am 18. Juni 1934 vor dem Erbgesundheitsgericht Konstanz statt. Die Einwendungen des als Pfleger eingesetzten Vaters, er befürchte durch den Eingriff einen Rückschlag für den zurzeit gut verlaufenden Genesungsprozess seines Sohnes, berücksichtigte das Gericht nicht: Sie seien „unbeachtlich“.
Es erging deshalb der Beschluss, Otto Weltin wegen Schizophrenie unfruchtbar zu machen. Neben dem vorsitzenden Richter, Amtsgerichtsrat Dr. Gerbel, wirkten an diesem Beschluss als Beisitzer der Bezirksarzt Medizinalrat Dr. Brutschy (Überlingen) und der Nervenarzt Dr. Schön (Konstanz) mit.

Da Otto Weltin der Aufforderung des Erbgesundheitsgerichts nicht nachkam, sich im Krankenhaus Konstanz aufnehmen zu lassen, wurde Rechberg erneut tätig. Er veranlasste am 23. August 1934, ihn mit Polizeigewalt dem Krankenhaus zuzuführen.
„Die Einweisung wolle durch nichtuniformierte Beamte vorgenommen werden. Bei dem Erbkranken handelt es sich um Schizophrenie (Vorsicht am Platze!)“, so Rechbergs Anweisungen. Die Kriminalpolizei rückte daraufhin am 1. September mit drei Beamten und zwei Sanitätern an. Otto Weltin wurde abgeführt und zur Sterilisierung in das Konstanzer Krankenhaus gebracht, wo die Operation noch am selben Tag stattfand. Noch unter Narkose wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Konstanz gebracht.
Dort verhielt er sich zwar ruhig, zeigte jedoch „für seine Sterilisierung nicht das geringste Verständnis“, wie es in seiner Krankenakte heißt. Nach Abheilung der Operationswunden wurde er am 8. September 1934 nach Hause entlassen, wo er sich die nächsten zwei Jahre über aufhielt.

Nachdem er aber öfter von zu Hause weggelaufen und in der Gegend herumgeirrt war und auch wieder heftige Erregungszustände hatte, brachte sein Schwager ihn am 14. November 1936 erneut in die Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz. Dort blieb er bis zum 25. Februar
1941 und wurde dann – die Schließung der Anstalt stand kurz bevor – in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen verlegt. Bereits in den ersten zehn Monaten seines Aufenthalts verzeichnet die Patientenakte von Otto Weltin eine rapide Gewichtsabnahme: Im März 1941 wog er noch rund 83 Kilo, im Dezember 1941 nur noch 64 Kilo.
Obwohl die badischen Heil- und Pflegeanstalten – auf Kosten der Patientinnen und Patienten – durchaus profitabel arbeiteten, wurden sukzessive weitere rigide Sparmaßnahmen eingeführt. Lag der Verköstigungssatz, also die Aufwendungen für die Ernährung pro Kopf und Tag, in Emmendingen 1937 noch bei 54 Pfennigen, wurde er ab 1939 noch weiter abgesenkt. Eine vom Deutschen Gemeindetag eingesetzte Kommission zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Anstalten überwachte die Durchsetzung der „Sparvorschläge“ zur „besseren Nutzung des Anstaltsraumes“. Außerdem stellte der Verköstigungssatz lediglich einen Durchschnittswert dar – und Faulstich wies anhand von überlieferten Kostzetteln nach, dass in der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen eine wahrscheinlich schon 1941 eingeführte Zweiteilung der Kost für arbeitende und ichtarbeitende Patientinnen und Patienten vorgenommen wurde.
Otto Emil Weltin arbeitete nicht, denn er „ist zu keiner geordneten Arbeit zu gebrauchen“, wie am 20. März 1943 in seiner Patientenakte festgehalten wurde. „Er ist sehr schmutzig und unordentlich. Endzustand von Schizophrenie.“Am 3. Juni 1944 starb Otto Emil Weltin, aufgrund der Hungerkost extrem abgemagert, nach Sektionsbefund an Tuberkulose.

Recherche: Andreas Müller, Edgar Winter
Patenschaft: Andreas Müller

Quellen & Literatur:

Bade, Sabine / Didra, Roland: Es konnte alle treffen - Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945, Konstanz 2024 (hier verfügbar);
Faulstich, Heinz: Hungersterben in der Psychiatrie 1914–1949, Freiburg 1998;
Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg B 132/1 Nr. 490;
Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg B 898/1 Nr. 594;
Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg E 120/1 Nr. 6065;
Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg L 50/1 Nr. 5117;
Privatarchiv Andreas Müller
Weiterlesen