Arthur
NEUHAUS

1920 - 1993 I
Brauneggerstraße 37
Stolperstein verlegt am 17.11.2022
Arthur NEUHAUS Brauneggerstraße 37

Arthur war von Beruf Kraftfahrer und seit 1936 Mitglied der kommunistischen Gewerkschaft C.G.T. 

Arthur Emile Neuhaus, wie sein vollständiger Name lautete, wurde am 6. September 1920 in Morsch­wil­ler/Elsass geboren. Nach Aktenlage war er Schweizer Staatsbürger. Von Beruf war er Kraftfahrer und seit 1936 Mitglied der kommunistischen Gewerkschaft C.G.T. (Confédération générale du travail).

Im Januar 1941 kam Neuhaus durch Vermittlung des Arbeitsamtes Mülhausen im deutsch besetzten Elsass nach Konstanz. Er suchte in Konstanz Arbeit, weil er hier eine „Nenntante“ hatte, Lotte Bogensberger, die er schon aus der Zeit vor dem Krieg kannte. Er arbeitete bei Herosé als Kraftfahrer. Herosé war ein kriegswichtiger Betrieb in Konstanz, in dem viele Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und ausländische Zivilarbeiter beschäftigt waren. Die Zivilarbeiter waren freiwillig aus den von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern, darunter viele aus dem Elsass, nach Deutschland gekommen. Die Elsässer Zivil­arbeiter waren den deutschen Arbeitern rechtlich gleich­gestellt, d.h. sie hatten die gleiche Arbeitszeit, erhielten den gleichen Lohn und hatten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Und sie wohnten privat, wie Arthur Neuhaus bei seiner Tante in der Brauneggerstraße 37.

Treffpunkt der Elsässer Zivilarbeiter in Konstanz war die Gastwirtschaft „Zum Burengeneral“ im Zentrum der Stadt. Hier wurde Französisch gesprochen und die Elsässer trugen als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Frankreich die blau-weiß-rote Kokarde am Revers. Offensichtlich duldete die NS-Stadtverwaltung den Gebrauch der französischen Sprache in der Öffentlichkeit, obwohl der Gauleiter von Baden und Chef der Zivilverwaltung für das Elsass, Robert Wagner, dies in einem Rundschreiben vom August 1940 ausdrücklich unter­sagt hatte. Trotzdem kam es immer wieder vor, wie es in einem Gestapo-Bericht von 1941 hieß, „dass in Baden beschäftigten Elsässer mehrfach dadurch aufgefallen sind, dass sie sich französisch unterhielten oder gar französische Lieder sangen.“ Zuwiderhandelnde würden verwarnt und in schweren Fällen von der Gestapo in das Erziehungslager Schirmeck-Vorbruck im Elsass eingewiesen werden. Dieses Lager wurde im August 1940 eingerichtet und diente der „Eindeutschung“ von Elsässern. Dazu gehörte auch, dass die inhaftierten Elsässer im Lager deutsche Wehr­machts­uniformen tragen mussten.

Viktor Freund, ein Elsässer aus Lutterbach und Arbeitskollege von Neuhaus bei Herosé, verwickelte den achtzehn Jahre jüngeren Neuhaus immer wieder in politische Diskussionen und versuchte ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen, Widerstand gegen die Nazis zu leisten, indem er zum Beispiel die Produktion von kriegswichtigen Gütern sabotiere. Deutschland könne den Krieg nicht gewinnen, so Freund. Die Sowjetunion war für Freund das große Vorbild. So gab er Arthur Neuhaus die „Geschichte der KPdSU“ zu lesen, ein 1938 erschienenes propagandistisches Lehrbuch über die Entstehung und Geschichte der kommunistischen Partei der Sowjetunion. Dieses Buch war in Deutschland verboten. Neuhaus widersetzte sich zwar dem Ansinnen Freunds, Betriebssabotage in Form von langsamerer Arbeit zu verüben, er unterließ es aber, Freunds Sabotageakte und politische Gesinnung an die Gestapo zu melden.

Arthur Neuhaus unterhielt gute Kontakte zu vier jungen Elsässern im Alter zwischen 17 und 19 Jahren, die wie er vom Arbeitsamt Mülhausen nach Konstanz vermittelt worden waren. Diese jungen Männer fühlten sich als Franzosen und lehnten den Nationalsozialismus kategorisch ab. Kopf dieser jugendlichen Widerstandsgruppe war der 1924 geborene Metzgerlehrling Edmond Duc aus Straßburg. Sie begrüßten einander auf der Straße mit dem Worten „ELF“, was so viel wie Égalité, Liberté, Fraternité hieß – die Losung der Französischen Revolution von 1789, und sie trugen die blau-weiß-rote Kokarde am Revers. In der Wohnung von Neuhaus hörten sie gemeinsam Radio Beromünster, den verbotenen Schweizer Landessender, der in Konstanz gut zu hören war. Nachts klebten sie an Schaufenster von Geschäften und an Bretterzäune Zettel mit antideutschen Parolen wie: „Churchill soll leben“, „Wir werden siegen“, „Die deutsche Wochenschau ist eine Lüge“, „Wir haben keine Angst vor Euch“. „Es lebe Roosevelt, es lebe Stalin“ oder „Nieder mit Deutsch­land“. Die Verhaftung der Gruppe am 4. August 1942 stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der wenige Tage zuvor erfolgten Festnahme von Arthur Neuhaus. Zu ihrem Glück fanden die jungen Elsässer einen milden Richter, denn sie wurden Anfang Januar 1943 nur zu Haftstrafen zwischen 6 und 12 Monaten verurteilt.
 
Arthur Neuhaus war am 25. Juli 1942 von der Gestapo verhaftet worden. Fast ein halbes Jahr saß er in Konstanz in Untersuchungshaft. Am 10. Februar 1943 wurde er nach Trier verlegt, wo der Prozess gegen ihn und die drei anderen Elsässer Viktor Freund, Robert Ballast und Andreas Friedrich vor dem Volksgerichtshof stattfand. Das Gericht war hochkarätig mit NS-Größen besetzt. Den Vorsitz führte Volksgerichtsrat Paul Lämmle, die übrigen Mitglieder des Gerichts waren Landgerichtsdirektor Dr. Erich Schlemann, Generalarbeitsführer Otto Stoll, NSKK-Brigadeführer P. Heinsius und SA-Obergruppenführer Wilhelm Jahn (Poli­zeipräsident von Halle, Stettin und Königsberg).
 
Am 12. Februar 1943 fällte der Volksgerichtshof das Urteil: Zwei Jahre Haft abzüglich sechs Monate Untersuchungshaft für Arthur Neuhaus, weil er von den Plänen Viktor Freunds wusste, aber nicht die Polizei informiert hatte; je vier Jahre Zuchthaus für die beiden Mitangeklagten Andreas Friedrich und Robert Ballast und die Todesstrafe für Viktor Freund.
 
Arthur Neuhaus verbüßte seine Strafe im Gefängnis Rottenburg am Neckar.
 
Neben der Arbeit im Steinbruch, der der Stadt Rottenburg gehörte, meldete er sich auch freiwillig zum Entschärfen von Fliegerbomben, wohl in der Hoffnung, früher entlassen zu werden.
 
Im Gefängnis waren seit 1941 politische Gefangene aus mehreren Nationen inhaftiert. Zwischen 1941 und 1945 gab es im Gefängnis 71 Todesfälle. Die Lebensbedingungen im Gefängnis waren hart. Schwere Arbeit im Steinbruch, Fliegerangriffe, Unterernährung, unbeheizte Zellen im Winter und ständige Schläge der Aufseher machten das Leben im Gefängnis zur Hölle, so schilderte ein Augenzeuge nach dem Krieg den Gefängnisalltag.
 
Arthur Neuhaus überlebte wahrscheinlich wegen seiner Inhaftierung den Krieg. Viele gleichaltrige Elsässer wurden als „Malgré-nous“ („Wider unseren Willen“) in die deutsche Wehrmacht oder in die Waffen-SS gepresst. Tausende Elsässer fanden so in deutschen Uniformen während des Krieges den Tod.
 
Nach dem Einmarsch der Franzosen in Rottenburg am 18. April 1945 wurden auch die politischen Gefangenen des Gefängnisses befreit. Da Arthur Neuhaus Schweizer Staats­bürger war, wurde er von den Franzosen in die Schweiz abgeschoben. Nach einem Aufenthalt in einem Sanatorium in der Innerschweiz kehrte Neuhaus Ende 1946 ins Elsass zurück. Er gründete eine Familie und hatte vier Kinder. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Busfahrer und Kontrolleur bei den Verkehrsbetrieben Mulhouse/Mülhausen.

 
Arthur Neuhaus starb am 26. März 1993 in Pfastatt bei Mulhouse im Elsass.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Ulrike und Heinrich Freistühler

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg A 47/1, 972.
Bundesarchiv Berlin, Akten R 3017/ 17754-17760, R 3018 [alt NJ] / 1056.
Bundesarchiv Bern, Dossier E4320B#1990/266#5294*.
Literatur: Wigbert Schuberth, Der Schlüssel zum Schloß. Die Chronik des Rottenburger Gefängnisses. Rotterdam: Bookmundo 2017.
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