Anna
MAYER

1909 - 1985 I
Friedrichstraße 11
Stolperstein verlegt am 19.05.2024
Anna MAYER Friedrichstraße 11

3 Jahre Zuchthaus und 8 Monate Gefängnis wg. Gutmütigkeit

Anna Mayer wurde am 22. April 1909 in Konstanz geboren. Ihre Eltern waren Johann Mayer, von Beruf Zimmermann, und Anna, geb. Wald. Sie besuchte die achtklassige Volksschule in Konstanz und machte anschließend eine zweijährige Ausbildung zur Köchin. Danach war sie bis zu ihrem 25. Lebensjahr Hilfsarbeiterin in einer Buchbinderei in Amriswil (Thurgau). Während der Weltwirtschaftskrise in Deutschland führte sie für eine Tante in der Schweiz den Haushalt. 1935 kehrte sie nach Konstanz zurück und führte für ihrem Bruder, der Zimmermann war und im gleichen Haus wohnte, den Haushalt.

Am 29. März 1939 wurden Anna Mayer und ihre Freundin Wilhelmine Müller in Konstanz wegen „Ausspähung“ von der Gestapo verhaftet. Am 31. Mai 1940 wurden sie vom Volksgerichtshof Berlin unter dem Vorsitz von Senatspräsident Dr. Eduard Springmann des Landesverrats angeklagt. Springmann stammte aus Wuppertal und war seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP; 1934 wurde er 1934 Richter am Volksgerichtshof in Berlin.

Warum wurden die beiden Frauen verhaftet? Anna Mayer und Wilhelmine Müller hatten sich von einem guten Konstanzer Bekannten, Max Stötzle, für seine landesverräterischen Aktivitäten einspannen lassen. Was die beiden Frauen wahrscheinlich nicht wussten: Hölzle war 1933 und 1934 mehrere Male in der Schweiz wegen Diebstahls und Betrugs inhaftiert und 1936 wegen Spionage für Frankreich zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. 1938 nahm Stötzle erneut Kontakt zum französischen Nachrichtendienst auf. Davon erhoffte er sich finanzielle Vorteile und eine dauernde Aufenthaltserlaubnis in Frankreich. Für dieses Vorhaben spannte er die beiden Frauen ein, was ihm umso leichter fiel, als er mit Wilhelmine Müller zeitweise ein Liebesverhältnis hatte. Stötzle scheint ein attraktiver Mann gewesen zu sein, der sich gut auszudrücken verstand und die Schweiz gut kannte, lebte er doch schon mehrere Jahre im Land.

 

Als er 1938 wieder Kontakt zum französischen Nachrichtendienst aufnahm, nahm er zur Tarnung seine Freundin Wilhelmine Müller mit; in St. Ludwig im Elsass (Saint-Louis (Haut-Rhin)), nahe Basel, kam es zu einem Treffen mit französischen Beamten. Es scheint, dass die Franzosen aber kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit ihm hatten. Dennoch bemühte sich Stötzle, über einen Soldaten, der in Konstanz wohnte und in Friedrichshafen stationiert war, an militärische „Geheimnisse“, zu gelangen, wie einen Tagesbefehl oder die Zeichnung eines deutschen Maschinengewehrs. Einen Brief entsprechenden Inhalts schmuggelten Anna Mayer und Wilhelmine Müller im September 1938 von Kreuzlingen über die Grenze nach Konstanz. Finanziellen Vorteile hatte Stötzle den beiden Frauen nicht in Aussicht gestellt, sie ließen sich aus Freundschaft zu diesem Schritt hinreißen. Zu dieser Einschätzung kam auch das Gericht, wenn es in Bezug auf Anna Mayer im Urteil formulierte: “Die Angeklagte Mayer stand unter seinem Einfluss und handelte aus Freundschaft und Gutmütigkeit.“ Und weiter hieß es im Urteil: „Schadenbringende Folgen sind aus der Handlungsweise von Anna Mayer nicht entstanden“.

 

Dennoch verurteilte der Volksgerichtshof die beiden Frauen zu je drei Jahren Zuchthaus und drei Jahren Verlust der „bürgerlichen Ehrenrechte“ (kein aktives und passives Wahlrecht sowie Aberkennung öffentlicher Ämter). Auf die Strafe wurden je ein Jahr und zwei Monate Untersuchungshaft angerechnet. Die Strenge des Urteils resultiert wohl aus der Tatsache, dass sich Deutschland seit dem 3. September 1939 im Krieg mit Frankreich befand. Offensichtlich wollte das Gericht ein Exempel statuieren.

 

Nach dem Urteilsspruch blieben beide Frauen noch einige Wochen in der Haftanstalt Berlin-Moabit, ehe sie m 21. Juli 1940 in das Frauengefängnis Aichach bei Augsburg überstellt wurden. In Aichach saßen vor allem Frauen ein, die wegen politischer Delikte wie Abhören von „Feindsendern“ oder Verstöße gegen das „Heimtückegesetz“ verurteilt worden waren. Nach Verbüßung ihrer Strafe am 31. März 1942 wurden Anna Mayer und Wilhelmine Müller jedoch nicht auf freien Fuß gesetzt, sondern „staatspolitischen Maßnahmen“ zugeführt, d.h. noch weitere 8 Monate im Gefängnis Konstanz inhaftiert. Am 5. Dezember 1942 wurden sie aus der Haft entlassen. Diese sogenannte „Überhaft“ verhängten die NS-Justizbehörden oft willkürlich bei politischen Vergehen. Ähnlich erging es Wilhelmine Müller.

 

Anna Mayer war insgesamt 3 Jahre und 8 Monate in Haft.

 

Ihr Antrag auf Wiedergutmachung wurde 1950 von der Behörde in Freiburg abgelehnt. Trotz ihres katholischen Glaubens, der eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus vermuten lasse, so die Behörde, sei die Überbringung des Briefes von Kreuzlingen nach Konstanz, dessentwegen sie fast vier Jahre inhaftiert war, keine Widerstandshandlung gegen das NS-Regime gewesen. Das mag stimmen, dennoch war das Urteil ein Terror- und Abschreckungsurteil und in höchstem Masse ungerecht.

Auch wenn Anna Mayer keine Wiedergutmachung erhielt, so wurde ihr doch von der französischen Besatzungsmacht der „Ehrenpass antifaschistischer Kämpfer“ zugesprochen. Den Franzosen war offensichtlich bekannt, aus welchen Gründen Anna Mayer fast vier Jahre inhaftiert war. Diese besondere Auszeichnung wurde nur wenigen NS-Widerstandskämpfern zuteil und war mit materiellen Zuwendungen verbunden.

 

Zurück im bürgerlichen Leben, heiratete Anna Mayer 1944 in Konstanz Jakob Schultheiß. Das Paar hatte keine Kinder. Nach ihrer Scheidung heiratete sie im November 1949 Walter Schiegg aus Kreuzlingen.

 

Anna Schiegg, geb. Mayer, starb am 12.01.1985 und wurde auf dem Zentralfriedhof Kreuzlingen beigesetzt.

 

Nachtrag:
Max Stötzle wurde am 5.4.1911 in Kreuzlingen (Thurgau) als Deutscher geboren. Von Beruf war er Maler. Im April 1936 wurde er vom Oberlandesgericht Karlsruhe wegen Spionage für Frankreich zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung lebte er in Konstanz, in Frankreich und in der Schweiz. Am 3. April 1939 wurde er vom Bezirksgericht Zürich wegen „Vergehens gegen das Schweizer Spitzelgesetz“ und mehrerer krimineller Delikte zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt und nach Haftende am 16. Februar 1942 an die deutschen Justizorgane ausgeliefert. Am 21. August 1942 wurde er vom Volksgerichtshof Berlin zum Tode verurteilt, weil er „im Auftrag einer fremden Macht Spionage gegen Deutschland getrieben” habe. Am 27. Oktober 1942 wurde Stötzle in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Daniela FREY und Manuela GRINDA

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg F 196/2, Nr. 2232
Einwohneramt Kreuzlingen
Stadtarchiv Konstanz
Bundesarchiv Berlin, Akte R3017/15231
Webseite der Gedenkstätte Plötzensee, Abruf 12,8.2024


Literatur:
Merkl, Franz Josef, An den Rändern der „Volksgemeinschaft“. Frauenschicksale in der Strafanstalt Aichach 1933-1945, in: Altschwaben in Bayern, 2018, S. 101-164
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