Agnes
ENDRES, geb. SCHOTT

1894 - 1961 I
Neuhauser Straße 31
Stolperstein verlegt am 21.10.2021
Agnes ENDRES, geb. SCHOTT Neuhauser Straße 31

Entmündigt, zwangssterilisiert und kurz vor der geplanten Vergasung von der Liste gestrichen

Agnes Endres, geb. Schott, wurde am 31. Januar 1894 in Konstanz geboren und katholisch getauft. Sie war die Tochter von Mathilde Schott, geb. Ketterer, und Josef Schott.

Ihre Kindheit verbrachte sie in der Neuhauser Str. 31. Agnes besuchte die Volksschule Zoffingen und war eine gute Schülerin. Sie wechselte auf die Zweiklosterschule in Rheinburg bei Gailingen, danach auf die Klosterschule Unserer Lieben Frau in Offenburg. Dort ließen ihre schulischen Leistungen plötzlich nach und sie sollte eine Klasse wiederholen. Deshalb schickten die Eltern das mittlerweile 16-jährige Mädchen im Jahr 1910 in ein Benediktiner Kloster in England.

Viele Jahre später besuchte sie von 1918 bis 1920 die Kunstgewerbeschule in Stuttgart und kehrte danach ins Elternhaus nach Konstanz zurück.

Im Jahre 1922, mit 28 Jahren, heiratete sie Professor Karl Endres, am 12. April 1923 kam ihre gemeinsame Tochter Hildegard zur Welt. Gemeinsam mit den Eltern, bzw. Schwiegereltern wohnten sie nun unter einem Dach in der Neuhauser Straße 31.

Als ihr Mann elf Jahre später, am 30. März 1934, Selbstmord durch Erschießen beging, veränderte sich ihr Leben völlig. Ihr Ehemann hinterließ einen Zettel auf dem u.a. stand: “Liebe Agnes! Dein Ehemann will ich sein bis zum letzten Atemzuge, weil ich Dich liebe.“

Bereits einen Monat nach seinem Tod kam es zu einem Gerichtstermin am 27. April 1934. Dabei ging es um die Feststellung der Geschäftsfähigkeit von Frau Endres, die mittlerweile angezweifelt wurde, und letztendlich um die Frage des Erbantritts. Die vor Gericht von Agnes Endres zu Protokoll genommenen Aussagen widersprachen den letzten Worten ihres Mannes. Sie sagte aus, ihr Mann sei geizig und lieblos gegen sie gewesen und habe sie tyrannisiert. Die Mutter von Agnes, die aber kurze Zeit nach dem Gerichtstermin verstarb, belastete den Ehemann ihrer Tochter in ähnlicher Weise als einen Tyrannen wie es „keinen schlimmeren gegeben habe“. Auch ihr Rechtsanwalt spricht von jahrelangen Quälereien, die seine Mandantin habe erdulden müssen. Er beschreibt seine Mandantin als „erstaunlich ausdrucksfähig, schlagfertig und geistig auf der Höhe“. Amtsarzt Dr. Rechberg jedoch kam in seinem Gutachten zu einer völlig anderen Einschätzung. Er bezeichnete sie u.a. als „verschrobene, debile Psychopathin“, sprach von „infantiler Zurück­gebliebenheit“ und sah damit die Voraussetzung für gegeben, sie wegen „Geistes­schwäche“ zu entmündigen.

Dies führte am 5. Februar 1935 zu ihrer Entmündigung. Die Vormundschaft, auch für die knapp 12-jährige Tochter Hildegard, wurde dem Hauptlehrer Ernst Funke übertragen. Ein halbes Jahr später, am 6. August 1935, wurde Agnes Endres¸ mittlerweile 41 Jahre alt, Patientin der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz. Die Diagnose lautete „Schizophrenie“.

Eineinhalb Jahre vor der Einweisung war am 1. Januar 1934 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach­wuchses“ in Kraft getreten. Darauf basierend wurde nun von der Anstaltsleitung der Antrag zur „Unfruchtbarmachung“ gestellt. Begründet wurde dies mit der diagnos­tizierten Erbkrankheit Schizophrenie. In einem handschriftlichen Schreiben vom 7. Dezember 1935 an das Amtsgericht Konstanz stimmt ihr Vormund der „Unfruchtbarmachung“ zu, bat lediglich darum, den Eingriff erst nach Dreikönig durchzuführen. Bereits am 16. Dezember 1935 erfolgte eine nichtöffentliche Sitzung des Erb­gesund­heitsgerichts beim Amtsgericht Konstanz, an der genau der Amtsarzt Dr. Rechberg mitwirkte, der eineinhalb Jahre zuvor das Gutachten geschrieben hatte, das zu ihrer Entmündigung führte. Außerdem war er als Leiter des Gesundheitsamts Konstanz für über 1 000 Zwangssterilisationen verantwortlich.

So wurde Agnes Endres am 9. Januar 1936 in der städtischen Frauenklinik in der Friedrichstr. 21 in Konstanz zwangssterilisiert und danach als „unruhig in die Heilanstalt Reichenau entlassen“. Dort verblieb sie bis zum 1. November 1938.

Wo und unter welchen Umständen sie danach lebte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Am 15. Juni 1940 wurde sie erneut eingewiesen. Deshalb geriet sie in das Tötungsprogramm der sogenannten T4-Aktion. Nur zwei Tage nach ihrer Einweisung fand am 17. Juni 1940 der bereits zweite Transport von der Konstanzer Anstalt in die Mordanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb statt.

 

Wäre sie nur wenige Tage früher eingewiesen worden, hätte das wahrscheinlich ihren sofortigen Tod bedeutet, da bei dem 2. Transport alle 91 Frauen von Buchstaben A bis L deportiert wurden. Die Planung des Transports war aber bereits abgeschlossen und die Plätze in den „Grauen Bussen“ bereits belegt. So wurde ihr Name auf die Transportliste des 28. November 1940 gesetzt, ihre Ermordung also um fünf Monate verschoben.
 
Nur wenige Tage vor dem Transport wurde ihr Name jedoch von der Liste gestrichen. Der Grund dafür war ein fast unvorstellbarer Zufall, der ihr das Leben retten sollte. Ihr Vormund Ernst Funke schrieb am 22. November, also genau sechs Tage vor der vorgesehenen Ermordung in Grafeneck, an die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz. Darin heißt es u.a.: „Mein Mündel Hildegard Endres ist in größter Sorge um das Schicksal seiner Mutter, nachdem in letzter Zeit von verschiedenen Seiten auf die seit einiger Zeit vor sich gehende Räumung der Heil- und Pflegeanstalten aufmerksam gemacht wurde.“ Er bittet um Benachrichtigung einer evt. Auflösung der Anstalt, „damit ich frühzeitig genug die Verlegung von Frau Endres nach einer Kreispflegeanstalt veranlassen kann“.
 
Bereits drei Tage später, am 25. November, kam die Antwort der Direktion, in der es u.a. hieß: “Es ist richtig, daß die Anstalt im Frühjahr oder Sommer 1941 aufgelöst wird“. Und weiter: „Falls Sie Frau Endres in eine Kreispflegeanstalt zu verlegen beabsichtigen, muß ich wie schon immer meine Bedenken dagegen zum Ausdruck bringen. Es besteht Gefahr, daß Frau Endres dort entweicht und sonstigen Unfug anstellt. Wir werden aber versuchen, die Kranke in einem noch besseren Haus unterzubringen“.
 
Nur drei Tage vor ihrem sicheren Tod wurde ihr Name nach diesem Schriftwechsel von der Transportliste gestrichen. Der Transport erreichte am 28. November 1940 die Mordanstalt Grafeneck wie geplant, aber: ohne Agnes Endres.
 
Am 6. Februar 1941 wurde sie plötzlich entlassen. Sie lebte danach an oft wechselnden Adressen in Konstanz, bis übers Kriegsende hinaus im Mittelweg 18, dann in der Schneckenburgstr. 1 und in den 50iger Jahren in der Alemannenstr. 1, zuletzt noch in der Salmanns­weilergasse 17. Sie hatte aber parallel dazu noch einen 2. Wohnsitz in Diez an der Lahn.
 
Ihre Entmündigung vom Jahre 1935 wurde 22 Jahre später, am 30. November 1957, wieder aufgehoben.
 
Eine letzte Spur ihres Lebens findet man auf der Einwohnermeldekarte. Dort steht der Eintrag: „Agnes Endres, geb. Schott Witwe/Kunstgewerblerin Gestorben am 27.12.1961 in Duisburg“.

Recherche: Roland Didra
Patenschaft: Marie-Luise Hettinger-Hanke

Quellen & Literatur:

Bade, Sabine / Didra, Roland: Es konnte alle treffen - Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945, Konstanz 2024 (hier verfügbar);
Stadtarchiv Konstanz Einwohnermeldekarte.
Staatsarchiv Freiburg B 898 /1 Nr.699 und B 822/3 Nr.226.
Privatarchiv Didra.
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