Sofie Anna
BOLL

1912 - 1940 I
Sankt-Johann-Gasse 5
Stolperstein verlegt am 13.09.2015
Sofie Anna BOLL Sankt-Johann-Gasse 5

Mit zweieinhalb Jahren wurde die kleine Anna im Kinderheim aufgenommen

Sofie Anna Boll, geboren am 1. August 1912 in Konstanz, war das Kind von Elisabeth Boll, geb. Frey, aus Leutkirch und Karl Boll aus Pfullendorf. Sie hatte sieben Geschwister, die älteste Schwester kam 1903 in Pfullendorf zur Welt, die jüngste Schwester 1914 in Konstanz. Der Vater arbeitete als Tagelöhner, und die Familie wechselte innerhalb des Konstanzer Stadtgebietes häufig die Adresse.

 

Mit zweieinhalb Jahren, am 10. März 1915, wurde die kleine Anna im Kinderheim der von der Caritas betriebenen St. Josefsanstalt in Herten bei Lörrach aufgenommen. Die Vorgängereinrichtung des St. Josefshauses war 1879 vom Hertener Dorfpfarrer Karl Rolfus auf Anregung der damaligen Oberin der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz, Maria Theresia Scherer, gegründet worden, um sich der „Kretinen“ in Herten und Umgebung anzunehmen. Hier sollten die Menschen nicht einfach nur verwahrt, sondern gezielt gefördert werden: Ihnen wurde Bildung und sogar eine Ausbildung ermöglicht. Die Anstalt verstand sich in den 1930er- und 1940er Jahren als „Privat-, Unterrichts- und Erziehungsanstalt für Geistesschwache und Epileptische katholischer Konfession“ und bezeichnete sich zudem als „Pflegeanstalt für Nichtbildungsfähige jeder Konfession, Alters und Geschlechts“. Im Jahr 1939 waren die Hälfte der Pfleglinge Kinder, und die allermeisten von ihnen erhielten in der Anstalt schulische Bildung. Neben der anstaltseigenen Schule mit Spezialklassen für schwerhörige, gehörlose und sprachbehinderte Kinder gab es auch einen heilpädagogischen Sonderkindergarten.

Sofie Anna Boll blieb ihr ganzes Leben in der Hertener Anstalt, bis sie 25 Jahre nach ihrer Aufnahme – wie 344 weitere Pfleglinge – in die Tötungsmaschinerie der „Aktion T4“ geriet.
In fünf Transporten beförderten graue Busse die Menschen von Herten aus über Zwischenanstalten zur tödlichen Endstation in Grafeneck. Am 26. Juli 1940 wurde Sofie Anna Boll im ersten Transport zusammen mit 67 weiteren Mädchen und jungen Frauen zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen gebracht. Vier Wochen später, am 21. August 1940, wurde sie im Alter von 28 Jahren in Grafeneck vergast und ihr Leichnam verbrannt.

Recherche: Roland Didra
Patenschaft: Dr. Christoph Schulz

Quellen & Literatur:

Bade, Sabine / Didra, Roland: Es konnte alle treffen - Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945, Konstanz 2024 (hier verfügbar);
Archiv St. Josefshaus Herten;
St.Josefshaus Herten (Hg.): … Die Zahlen mußten stimmen. Das nationalsozialistische „Euthanasie“-Projekt im Fall des St. Josefshauses Herten, Rheinfelden 1997;
Stadtarchiv Konstanz: Einwohnermeldekarte
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