Anna
SCHMID

1890 - 1940 I
Stephansplatz 9
Stolperstein verlegt am 19.05.2024
Anna SCHMID Stephansplatz 9

Sie war von jeher eigen, scheu und schwärmerisch – was erst zu ihrer Zwangssterilisation und dann zu ihrer Vergasung führte

Anna Schmid wurde am 16. Oktober 1890 in Kreuzlingen in der Schweiz geboren. Die Familie – Vater Josef, Mutter Emma, Anna und ihre vier jüngeren Geschwister – wohnte in Konstanz am Stephansplatz 9, wo ihr Vater eine Bäckerei betrieb. Dort waren Anna und ihre beiden jüngeren Schwestern beschäftigt.

 

Am 13. Juli 1932 brachte ihre jüngste Schwester sie in die Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz und gab an, Anna sei in ihrem Verhalten zwar von jeher eigen, scheu, schwärmerisch und unberechenbar gewesen, habe sich aber seit circa einem Jahr stark verändert, habe Halluzinationen und fühle sich verfolgt. Nach einem vierwöchigen Aufenthalt in der Anstalt wurde Anna auf Wunsch der Angehörigen wieder entlassen.

 

Ein Jahr später, am 3. September 1933, brachte ihre Schwester sie erneut in die Anstalt: In den letzten Tagen sei Anna in ihren Affekten unberechenbar gewesen, habe unmotiviert gelacht und geweint und glaube, vergiftet zu werden.

Mit diesem zweiten Aufenthalt war das Schicksal von Anna Schmid besiegelt, da das Anfang 1933 an die Macht gelangte NS-Regime bereits am 14. Juli 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erlassen hatte. Zwar war es bei Annas Ankunft noch nicht in Kraft getreten, aber der Anstaltsleiter, Medizinalrat Dr. Arthur Kuhn, ein vehementer Unterstützer der Zwangssterilisation, traf vorauseilend Maßnahmen, um sofort jede Möglichkeit der Fortpflanzung von „Erbkranken“ zu unterbinden.

An eine Entlassung war nun nicht mehr zu denken. Kuhn stellte am 27. Februar 1934 beim zuständigen Bezirksarzt, Dr. Ferdinand Rechberg, und beim Konstanzer Erbgesundheitsgericht den Antrag auf Unfruchtbarmachung seiner Patientin Anna Schmid wegen „Schizophrenie“. Ein medizinisches Gutachten seines Oberarztes Medizinalrat Dr. Zwilling fügte er bei.

Am 14. Mai 1934 kam es vor dem Erbgesundheitsgericht zur Verhandlung. Da Annas Vater am 26. August 1932 gestorben war, vertrat Annas Bruder Josef, der auch die väterliche Bäckerei übernommen hatte, als ihr eingesetzter Pfleger ihre Interessen. Während der Verhandlung bestritt er vehement, dass Anna an einer Erbkrankheit leide, und führte ihre Erregungszustände auf Wechseljahrbeschwerden zurück.
Dessen ungeachtet verfügten die Richter – Amtsgerichtsrat Dr. Walter Gerbel als Vorsitzender, Bezirksarzt Medizinalrat Dr. Brutschy aus Überlingen und Nervenarzt Dr. Schön aus Konstanz als Beisitzer – Annas Sterilisation wegen „Schizophrenie“. Einen Monat später wurde diese Verfügung rechtskräftig.

Dr. Kurt Welsch, Chefarzt der Konstanzer Frauenklinik, operierte Anna Schmid am 17. Juli 1934. Dem für den Vollzug von Zwangssterilisationen vorgesehenen Formblatt ist die Art der Unfruchtbarmachung zu entnehmen: „Bei dem Eingriff wurden die Eileiter gequetscht und je doppelt unterbunden. Die Operation verlief regelrecht. Die Wunde heilte in 8 Tagen. Die Operierte wurde am 28.7.1934 als geheilt entlassen und in die Heilanstalt Reichenau zurückgebracht.“

In den folgenden Jahren forderte Anna Schmid zwar wiederholt ihre Entlassung, musste aber dauerhaft in der Anstalt bleiben. Dort vermerkte man am 27. Juni 1940 in ihrer Akte: „Verlegung nach Zwiefalten“.

Wahr ist hingegen, dass Anna Schmid am 27. Juni 1940 in die Mordanstalt Grafeneck „verlegt“ wurde, wo sie noch am selben Tag vergast wurde.

Recherche: Sabine Bade / Roland Didra
Patenschaft: Petra Hinderer

Quellen & Literatur:

Bade, Sabine / Didra, Roland: Es konnte alle treffen - Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945, Konstanz 2024 (hier verfügbar);
Bundesarchiv (BArch): Bestand R 179, Nr. 23251;
Schmidt-Michel, Paul-Otto: „Nach Deutschland verbracht.“ Opfer der ,Aktion T4‘ der Heil- und Pflegeanstalten Weissenau (Württemberg) und Reichenau (Baden) aus der Schweiz, in: Müller, Thomas / Kanis-Seyfried, Uta / Reichelt, Bernd (Hg.): Psychiatrie und Nationalsozialismus im deutschen Südwesten und angrenzenden Gebieten (I), Zwiefalten 2022, S. 256f.;
Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg B 132/1 Nr. 907;
Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg B 898/1 Nr. 925
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