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Stolpersteine Konstanz

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Die Rolle der Kirchen Lina Franken: Der aktive und passive Widerstand in Konstanz und Umgebung 1933-45. Copyright by Lina Franken 2000

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2.3 Die Rolle der Kirchen

Auch in den Kirchen gab es mutige Menschen, die sich vor allem für Juden und somit gegen die Nationalsozialisten einsetzten, auch wenn sie dadurch von der allgemeinen Haltung ihrer Organisation abwichen und eine absolute Ausnahme darstellten.22

Im August 1936 wurde berichtet: „In Konstanz sitzen eine ganze Anzahl Ernster Bibelforscher im Gefängnis, darunter Frauen und Mädchen. Sie hatten auf dem Bodensee in einem großen Segelboot Gottesdienst abgehalten und sind verraten worden." 23 Diese Menschen wurden also lediglich wegen ihres starken Glaubens verhaftet, sie hatten nicht aktiv etwas gegen die Nationalsozialisten getan, sondern lediglich ihre Traditionen, die sie so auch schon vor der Machtübernahme hatten, weiter gefeiert. Es ist höchst wahr­scheinlich, dass der Gottesdienst in einem Boot schon eine Notlösung war, auf dem Festland scheint er nicht mehr möglich gewesen zu sein.

Eine weitere Gruppe der ‚Internationalen Vereinigung Ernste Bibelforscher’ 24 wurde Ende 1936 in Konstanz festgenommen, nachdem  sie an „einer beispiellosen Widerstandaktion im Dezember 1936" 25  beteiligt waren, bei der „über  300 000  gegen  Hitler  gerichtete  Flugblätter  im  ganzen  Reichsgebiet verteilt" 26  wurden, die aus der Schweiz geschmuggelt worden waren 27. Zu dieser Gruppe gehörten Lina H. und Berta M., die zusammen erst 1945 aus dem Frauen-KZ Ravensbrück befreit wurden.28 Der Bauer Augustin Romer29 aus Litzelstetten kam zur gleichen Zeit in Haft und „wurde im Mai  1937 verurteilt, weil er an Bibelstunden teilgenommen hatte und im Besitz einschlägiger Broschüren war." 30

Sein Weg führte vom Konstanzer Gefängnis ins Konzentrationslager Kislau und schließlich 1938 nach Dachau, wobei er auf einem Transport durch München zusammenbrach und von den Wachmannschaften einfach liegengelassen wurde. Durch diesen Zufall wurde er zwar gerettet, trug aber bleibende Schäden davon. 31

 

Zwei Singener Pfarrer leisteten – unabhängig voneinander – Widerstand, Prälat und Stadtpfarrer August Ruf 32 und Gottfried Kaiser, Pfarrer der Herz-Jesu-Pfarrei. August Ruf verteilte schon im Februar 1933 im Religions­unterricht aufklärende Broschüren über den Nationalsozialismus an seine Schüler 33 und sprach im April 1934 bei einer Predigt: „Man will uns zwingen, unsere Jugendorganisationen aufzulösen. Wir können das nicht tun, der Heilige Vater will, dass diese Bünde weiter bestehen. [...] Wir haben dem Heiligen Vater den Schwur getan, dem Heiligen Vater zu folgen, und das werden wir halten bis zum Tode." 34 Außerdem half er einer jüdischen Frau bei der Flucht, wurde angezeigt und stand 1943 im Alter von 74 Jahren vor Gericht. Er wurde, obwohl ihn ein Arzt für haftunfähig erklärte, zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und starb schließlich unter miserablen, menschenunwürdigen Haftbe­dingungen am Karsamstag 1944. 35

Für die Taufe der Kinder von polnischen Zwangsarbeiterinnen bei der Firma Maggi in Singen setzte sich Pfarrer Gottfried Kaiser ein und zitierte in einem Brief an die Firma einen Erlass des Reichsbischofs, der diese Taufen erlaubte. In der Antwort von Maggi jedoch heißt es: „Was gehen uns die gesetzlichen Verordnungen durch den Reichsbischof an. Wir haben hier ganz andere Vorschriften."36 Bedenkt man, wie existenziell wichtig die Taufe eines neugeborenen Kindes für Christen ist, so zeigt diese Handlung, dass der Pfarrer auch polnische Menschen, die von den Nazis als untergeordnete Menschenrasse verfolgt wurden, als gleichwertig ansah. Zwei Wochen später, nachdem er sein Vorhaben vorbrachte, einen Gottesdienst für französische Zivilarbeiter halten zu wollen, wurde Kaiser verhaftet und saß von Ende Mai bis Ende August 1944 im Gefängnis. 37

 

 

 


22 siehe Glossar, S. 16, Stichwort „Kirche im Nationalsozialismus"

23 Deutschland-Berichte 1936, S. 1049

24 heutige Zeugen Jehovas, vgl. Burchardt u.a., S.328 und Lutum-Lenger, S. 90 sowie Käte Weick: Widerstand und Verfolgung in Singen und Umgebung, S. 212

25 A. Moser, „Das NS-Regime von einer Sekte herausgefordert", in: Südkurier 11.5.1983, zitiert nach Burchardt u.a., S.328

26 A. Moser, zitiert nach Burchardt u.a., S.328, vgl. auch Lutum-Lenger, S. 20f

27 vgl. Weick, S. 212

28 vgl. Burchardt u.a., S. 328

29 Bild siehe Anhang, S. 22

30 Lutum-Lenger, S. 90, vgl. auch Burchardt u.a., S.328f

31 vgl. Burchardt u.a., S.328f und Lutum-Lenger, S. 90 sowie Weick, S. 212f

32 Bild siehe Anhang, S. 22

33 vgl. Weick, S. 210.  
Welcher Art diese Broschüren waren, geht leider nicht aus dem Text hervor, es ist jedoch anzunehmen, dass sie christlich-konservativ waren.

34 Landeslagebericht der Gestapo Karlsruhe vom 14. April 1934, zitiert nach Weick, S. 211

35 vgl. Weick, S. 213ff und Meier, S. 231f sowie Lutum-Lenger, S. 91

36 Gottfried Kaiser: Chronik der Pfarrei Herz-Jesu, S.64, zitiert nach Meier, S. 235

37 vgl. Meier, S. 234f und Lutum-Lenger, S.17f