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Stolpersteine Konstanz

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Die Fluchthilfe für für jüdische und politische Verfolgte Lina Franken: Der aktive und passive Widerstand in Konstanz und Umgebung 1933-45. Copyright by Lina Franken 2000

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„Die Schweiz erschien in jener Zeit nicht nur wegen der Deutschsprachigkeit und dem regen Grenzverkehr, sondern auch wegen einer einigermaßen liberalen Asylpolitik, die sich allerdings im Laufe der Zeit sehr schroff ändern sollte, als geeignetes Exilland" 38 für Flüchtlinge aus dem gesamten Reich. 39

Durch die Grenzlage zur Schweiz und den glücklichen Umstand, dass ein Großteil der Strecke an Bodensee und Rhein nur durch eine grüne Grenze getrennt und der Grenzverlauf relativ unübersichtlich ist, war es den Konstan­zern möglich, eine große Anzahl 40 von Ver­folgten  „auf die sichere Seite"  zu  bringen. Diese Rettungsaktionen passierten stets unter strengster Geheimhaltung und waren insofern äußerst gefährlich, als bei einer eventuellen  Entdeckung sowohl Flüchtling als auch Helfer mit hohen Haftstrafen – die dann meist in einem KZ endeten – oder sogar der Todesstrafe zu rechnen hatten. Es handelte sich meist nicht um die organisierte  Hilfe  einer überregionalen Gruppe sondern um Konstan­zer Bürger, die etwas tun wollten, um den ihrer Meinung nach zu Unrecht bedrohten Menschen zu helfen. „Konstanzer, aber auch Bürger aus der benachbarten Schweiz, trugen auf vielerlei Weise dazu bei, diese Flucht aus Verfolgung und Illegalität in eine zumindest das Überleben sichernde Existenz zu ermöglichen: Sie boten Unterschlupf und Verpflegung, zeigten relativ sichere Wege über die Grenze, kümmerten sich um den Weitertransport von Gepäck oder um den Verkauf der persönlichen Habe der Flüchtlinge, knüpften Kontakte zu schweizerischen Antifaschisten und Hilfsorga­nisationen oder fungierten einfach nur als Deckadresse für den Postverkehr zwischen Exil und Freunden oder Verwandten im Reich." 41

Eddie Dafinger, ein Student am Technikum Konstanz, half dem Juden Emil Rothschild und seiner Tochter Edith im April 1933 wie folgt über die Grenze: Er „fuhr in seinem roten Sportwagen zu aller Schrecken vor in einer schwarzen SS-Uniform. Edith musste ins Auto einsteigen, der Koffer [von Emil] wurde eingeladen und Emil Rothschild aufgefordert, zu Fuß zur 300 Meter entfernten Grenze zu gehen. Der Zollbeamte ließ ihn nach Vorlage seines Dokumentes zum ‚Kleinen Grenzverkehr’ anstandslos passieren. Edith und Dafinger fuhren in langsamer Geschwindigkeit unbehelligt hinter ihm an der Passkontrolle vorbei. Die Uniform des Wagenlenkers hatte genügt! [...] Eddie Dafinger war Partei- und SS-Mitglied geworden in der Absicht, auf diese Weise bedrohten Menschen besser helfen zu können." 42 Edith und Emil konnten ihren Weg unbehelligt fortsetzen und überlebten den Krieg in den USA.

Als Jude wurde Heiner Wollheim aus seiner Stelle als Bratschist bei den Philharmonikern in Berlin entlassen und zog daraufhin mit seiner Frau nach Kattenhorn am Untersee. Hier nahm er des öfteren flüchtige Juden auf und half ihnen über die Grenze, woraufhin er denunziert und bis zum Kriegsende ins KZ Dachau gesperrt wurde.43

Die Jüdin Regina Schreier aus Wien berichtete, dass sie auf der Suche nach einer Fluchtmög­lichkeit auf dem Singener Bahnhof 1938 einen fremden Mann ansprach und um Hilfe bat, der sie daraufhin in seinem Auto in die Schweiz brachte, „Als wir den Zoll passierten, wo weiß ich nicht mehr, zeigte der mir unbekannte Herr nur seinen Pass und konnten wir ungehindert weiterfahren" 44, der Unbekannte ließ sie am Schaffhausener Bahnhof aussteigen und verschwand wieder, ohne auch nur einen Dank für seine wagemutige Aktion zu verlangen.

Die linkspolitisch ausgerichtete Bücherstube Neser – bis 1936 an der Marktstätte, danach in der Kreuzlingerstr. gelegen – diente als Anlaufstelle für Flüchtlinge, die vom Ehepaar Matilde und Sepp Neser und Fritz Scheffelt über die Grenze gebracht wurden. Dies geschah als ein ‚Ausflug’ mit der Bahn nach Singen und von dort aus als Wanderung über die Grenze nach Schaffhausen, wie viele Menschen so gerettet wurden, ist leider nicht bekannt.45

Neben den oben aufgeführten Einzelpersonen gab es auch regionale Helfer, die sich zu kleinen Gruppen zusammenschlossen.

Die größte Ausnahme bildeten hierbei wohl die Polizisten Jakob Weyrauch und Alfons Lanz, welche Juden, die denunziert wurden, über die grüne Grenze halfen. So war im "Aufbau", einer großen jüdischen Emigrantenzeitung in New York, nach dem Krieg zu lesen, wie der Jude Oskar Bernklau, der bei einem Arbeits­einsatz aus Dachau fliehen konnte, in einem Konstanzer Hotel die Nacht vor der alleine geplanten Grenzüberschreitung verbrachte und vom Hotelportier angezeigt wurde. Weyrauch und Lanz erschienen im Dienst, also als Polizisten, verhafteten ihn 46, „versteckten den Gehetzten im Beiwagen eines Motorrads und fuhren ihn nachts in das deutsch-Schweizer Grenzgebiet. Dort gaben sie dem Gefangenen die Freiheit und Oskar Bernklau erreichte das rettende Schweizer Hoheitsgebiet." 47

Die beiden wurden später „wegen des Verdachts der Begünstigung rassisch Verfolgter" 48 zur Gestapo in die Tschechoslowakei zwangsversetzt, nach der Besatzung durch die Franzosen hatten sie es als Beamte dieser nationalsozialistischen Organisation natürlich schwer, ihnen wurde der Rentenanspruch versagt, der erst durch Aussagen von emigrierten Juden zugunsten der ehemaligen Polizisten wiederhergestellt werden konnte.

Eine Gruppe um den Gottmadinger Josef Höfler organisierte in Zusammenarbeit mit einer Berliner Fluchthelferin die Flucht für insgesamt 15 Juden 49, die sie am Singener Bahnhof in Empfang nahmen und dann zu Fuß über die Grenze brachte. So etwa im Februar 1944, als sie Jizchak Schwersenz und Jacheta Wachsmann von dem kleinen Ort Büßlingen aus den Weg über einen Berg in die Schweiz zeigten, den diese durch tiefen Schnee alleine zurücklegen mussten, getarnt durch weiße Leintücher zum Umhängen. 50 Diese Menschen erreichten glücklich die Schweizer Seite. Nicht immer jedoch lief alles so glimpflich ab, das Ehepaar Einzig saß im Zug zur Tarnung auf verschiedenen Plätzen, „Gestapo-Beamte kontrol­lierten die Papiere und schöpften bei Herrn Einzig Verdacht. Im nächsten Bahnhof führten sie ihn aus dem Zug. [...] Frau Einzig gelangte mit Hilfe der Fluchthelfergruppe um Josef Höfler in die Schweiz. Ihren Mann sah sie nicht wieder." 51

Im April 1944 schließlich wurde die Gruppe entdeckt, da zwei jüdische Frauen auffallend viel Gepäck bei sich trugen, so dass eine Grenzüberquerung nicht gefahrlos als reine "Wandertour" o.ä. ausgegeben werden konnte. Der zur Gruppe gehörige Zöllner weigerte sich, die mit dem Gepäck verbun­denen Gefahren auf sich zu nehmen. Die Frauen, die die Wanderung schon begonnen hatten, setzten sich enttäuscht wieder in den Zug nach Singen, in dem ein Fahrgast aufgrund ihres Gepäcks und ihrer schmutzigen Schuhe aufmerksam wurde und der Gestapo Meldung machte. Daraufhin war es dieser ein Leichtes, Josef Höfler und seine Gruppe dingfest zu machen. 52

Schließlich sollte die Gruppe um den Allensbacher Maler Otto Marquard 53 nicht unerwähnt bleiben; er selbst beschreibt seine Tätigkeiten wie folgt: „Wir haben fortwährend bei Nacht und Nebel mit der Gondel [Boot] Flüchtlinge ins Asyl der Schweiz geschafft: Kollegen, Lehrer, Pfarrer, Arbeiter, Kommunisten, Sozialisten, religiös Verfolgte. Andere wurden mit dem Paddelboot von Schaffhausen aus abgeholt, und wenn dann das Stichwort ‚Kakao’ auf dem See erscholl, wussten wir: Jetzt wird wieder einer von unseren ‚Pensionären’ geholt. Dabei mussten wir immer auf der Hut sein, dass wir nicht von Spitzeln oder sonstigen Nazis beobachtet wurden." 54 Auch der KPD-Funktionär Willi Bohn 55 wurde auf diesem Weg vor seinen politischen Gegnern gerettet. In seinem Bericht heißt es: „Es schaukelte bedenklich, aber Marquard meinte, draußen werde das Wasser ruhiger sein... Wir brauchten mehr als zwei Stunden für die Überfahrt." 56

 

In den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur spielte auch die Fluchthilfe für politische Flüchtlinge eine wichtige Rolle im Widerstand, da diese nach dem Verbot ihrer Parteien zu den ersten Personen gehörten, die von der SS und Gestapo verhaftet wurden und folglich versuchten, sich und ihre Familie in Sicherheit – also aus Deutschland heraus – zu bringen.

In Konstanz sind jedoch nur wenige Fälle bekannt, oft wurden auch Druckschriftenschmuggel und Fluchthilfe verbunden, so beim Konstanzer Alfons Beck, der neben seinen Aktivitäten in der ‚Transportkolonne Otto’ auch Flüchtlinge versteckte, bevor sie über die Grenze gebracht wurden. 57

Pauline Gutjahr, aus der Schweiz stammend, „war schon vor 1914 aktiv in der Konstanzer SPD. Während der Nazi-Diktatur nutzte sie ihre Kontakte in die Schweiz, um Bedrohte und Verfolgte über die Grenze zu bringen, beteiligte sich aber auch am Schmuggel verbotener Druckschriften. Am 10. Mai 1938 wurde sie deswegen in ihrer Wohnung in der Brauneggerstraße verhaftet. Von 1938 bis 1945 war sie im Zuchthaus und im KZ Ravensbrück inhaftiert." 58

Durch direkte Schweizer Hilfe entstand eine relativ sichere Möglichkeit für Verfolgte, in die Schweiz zu gelangen. Den Schweizern war es bis 1935 möglich, mit einem Tagesschein 59 ohne Ausweis nach Deutschland – und auch wieder in die Schweiz zurück – zu reisen. Sie kauften also bereits auf der Hinfahrt eine Rückfahrkarte und gaben diese zusammen mit einem Tagesschein an einen Flüchtling weiter, der gleichen Geschlechts und ungefähr gleichen Alters war. Dieser konnte damit nun unerkannt die Grenze passieren während der Schweizer eine neue Rückfahrkarte erstand und mit seinem regulären Reisepass zurückreiste. 60 Als deutsche Anlaufstelle diente hierbei die Wohnung in der Singener Harsenstraße, wo die Flüchtlinge übernachteten. Hier wohnte Xavier Harlander 61, welcher „vor 1933 mit Kommunisten befreundet gewesen, jedoch erst in den Monaten der Illegalität zur kommunistischen Partei gekommen" 62 und der folglich für die Gestapo ein ‚unbeschriebenes Blatt’ war. Harlander arbeitete als Gipser in Schaffhausen und hatte somit Kontakt zu Hilfsbereiten in der Schweiz, denen er Bescheid gab, sobald ein Hilfesuchender bei ihm eintraf, „daraufhin kam dann ein Schweizer Genosse zu uns [...]. War bei uns eine Frau angekommen, so schickten die Schweizer eine Frau – und wenn zwei angelaufen sind, dann sind eben zwei rübergekommen. Das hat ganz tadellos funktioniert." 63

Über diesen Weg wurden bekannte KPD-Funktionäre – denen innerhalb Deutschlands auf Grund ihrer früheren politischen Aktivitäten nur noch ein Leben in der Illegalität möglich war – in die Schweiz gebracht und konnten von dort aus ihre Arbeit weiterführen. Auch Otto Leib, ein schon früh geflüchteter Konstanzer Jude, weiß sich zu erinnern: „Ich telephonierte [mit] einem [...] Reichsbannerkameraden. Dieser hatte als Grenzgänger oft gefährdeten Menschen geholfen, indem er sie mit Ausweisen für den Kleinen Grenzverkehr versah, die anderen gehörten. Ein Bild war auf diesen Bescheinigungen nicht nötig. So kamen sie über die Grenze." 64 Am 23.1.1935 wurde Harlander auf dem Heimweg aus Bankholzen verhaftet, er trug illegale Schriften bei sich und blieb in Folge dessen bis 1942 in Gestapo-Gewalt, sein Leidensweg führte über die Konzentrationslager Kislau, Dachau und Flossenbürg. Eine neue Anlaufstelle in Singen wurde bei der Familie Schwarz eingerichtet, doch auch August Schwarz wurde bereits im August 1935 verhaftet. 65

In Konstanz gab es ebenfalls derartige Anlaufstellen, jedoch ist über diese nur aus den Gestapo-Akten bekannt: „Die Eheleute Durst haben in den Jahren 1933 bis 1936 mehrfach flüchtige SPD-Funktionäre über die Schweizer Grenze geschafft. Durst, der seit Jahren in Konstanz wohnt und in Kreuzlingen arbeitet, hat dies zum Teil in der Weise bewerkstelligt, dass er in der Schweiz Grenzscheine auf falsche Namen beschafft hat, mit denen die Flüchtlinge dann in seiner Begleitung die Grenze im sogenannten ‚Kleingrenzverkehr’ überschreiten konnten." 66

Der ‚Kleine Grenzverkehr’ wurde 1935 von der Gestapo als Fluchtmöglichkeit entdeckt und unterbunden.

 

 

 

 


38  Weick, S. 109f

39  Für weitere Informationen bezüglich der Beziehungen Konstanz-Kreuzlingen im Zweiten Weltkrieg siehe auch die Seminararbeit von Mareike Skupin

40  Die genaue Anzahl sowohl der Fluchthelfer als auch der Geretteten ist leider unbekannt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Aktionen erfolgreich waren, wenn niemand etwas davon erfuhr, es existieren also keinerlei Dokumente aus dieser Zeit. Lediglich aus Erinnerungen von Geretteten und Helfern, die nicht ‚erwischt’ wurden, und aus Kriminalakten der aufgedeckten Fälle kann heute ein bruchstückhaftes Bild zusammengefügt werden. Dies ist auch der Grund, warum im Folgenden vorwiegend Einzelfälle geschildert werden.

41  Burchardt u.a., S. 324f

42  Otto S. Leib Bearbeitet von Dieter Städele: Zivilcourage in dunkler Zeit, S. 129f

43  vgl. Bloch, S. 162f

44  Franco Battel: Flüchtlinge in Schaffhausen 1933-45, S. 102, zitiert nach Lutum-Lenger, S. 80

45  Interview mit Herrn Neser am 11.5.2001; Herr Neser war bei Kriegsende erst 10 Jahre alt, kann sich also an die Aktivitäten seiner Eltern nicht mehr genau erinnern und war vielleicht, aus Angst vor einem versehentlichen Versprecher, auch nicht in alles eingeweiht, so dass heute nicht mehr genau zu rekonstruieren ist, was seine Eltern tatsächlich in der Fluchthilfe leisteten. vgl. auch Film Jürgen Weber: Die Helfer

46  vgl. Bloch S. 160 und Leib, S. 127ff

47  Bloch, S. 160, vgl. auch Leib S. 128f

48  Leib, S. 128

49  vgl. Werner Trapp: Widerstand an der Schweizer Grenze, S. 53

50  vgl. Lutum-Lenger, S. 15

51  Lutum-Lenger, S. 82

52  vgl. Trapp, S. 53

53  Bild siehe Anhang, S. 23

54 O. Burger: Die andere Seite des Malers Otto Marquard, in: Südkurier 28.7.1983, zitiert nach Burchardt u.a., S. 325

55  siehe hierzu auch Kapitel 3.2, ‚Transportkolonne Otto’, Bild im Anhang, S. 23

56  Willi Bohn: Transportkolonne Otto, zitiert nach Lutum-Lenger, S. 82

57  vgl. hierzu den Bericht von Alfons Beck, im Anhang abgedruckt auf S. 20, und Kapitel 3.2

58  Burchardt u.a., S. 439

59  im Anhang abgebildet auf S. 24

60  vgl. Lutum-Lenger, S. 82ff

61  Bild im Anhang, S. 24

62  Weick, S. 110

63  Weick, S. 111, vgl. auch Lutum-Lenger, S. 84

64  Leib, S. 127

65  vgl. Weick, S. 112f

66  Gestapo Stuttgart: Lageberichterstattung für den Monat Mai 1938, Bundesarchiv Koblenz R58/449; zitiert nach Weick, S. 114