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Stolpersteine Konstanz

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Siegfried BIRN, 1897 - 1942

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Ermordet im Holocaust

Siegfried Birn wurde am 2. August 1897 in Estenfeld bei Würzburg geboren. In Estenfeld gab es um 1900 eine kleine jüdische Gemeinde. Seine Eltern waren Sigmund und Helene, geb. Lichtenstetter, die in Estenfeld ein Stoffgeschäft führten. Er hatte zwei Brüder: Sally wurde im Holocaust ermordet und Adolf überlebte in Argentinien.

 

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Siegfried BIRN im elterlichen Stoffladen
Foto ca. 1928. © Jochen Jörg, Estenfeld

 

Siegfried Birn ging im nahen Würzburg in die Schule, wahrscheinlich auf das Gymnasium. Nach der Schule machte er eine kaufmännische Ausbildung im elterlichen Betrieb.

Wegen einer Knieverletzung, die er sich als Jugend­licher zugezogen hatte, wurde er im Ersten Weltkrieg nicht eingezogen. National-monarchistisch gesinnt, schloss er sich dennoch 1919 dem konter­revolutionären Freikorps (Bataillon Scheuring) an, das die Würzburger Räterepublik bekämpfte. In den schweren Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und später während der Weltwirtschaftskrise war er stets bereit, ärmeren Familien zu helfen. Dringend benötigte Bettwäsche oder andere Textilien gab er häufig mit den Worten aus: „Nehmen Sie die Ware jetzt ruhig mit. Bezahlen Sie, wenn sie wieder etwas Geld haben. Wir leben in schwierigen Zeiten.“ Vermutlich Ende 1922 wurde Siegfried Birn „Juniorchef“ in der Stoffhandlung der Familie.

Nach dem Krieg wohnte Siegfried Birn bis 1924 in Würzburg. 1936 übersiedelte er nach Schweinfurt, 1938 wohnte er wieder in Estenfeld, seiner Heimatgemeinde. Anfang Januar 1938 verkaufte Siegfried Birn sein Haus in Estenfeld an die nichtjüdische Familie Barthel, mit der ihn bis zu seinem Tod eine herzlich-freundschaftliche Beziehung verband.

 

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Siegfried BIRN
© Jochen Jörg, Estenfeld

 

 

Unter dem Eindruck der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der in Estenfeld jüdische Mitbürger von den Nazis zusammengeschlagen und Geschäfte ausgeraubt wurden, darunter auch sein ehemaliges Stoffgeschäft, wollte Birn im Sommer 1939 in die Schweiz flüchten. Als auf dem Stuttgarter Bahnhof sein Name zur Fahndung ausgerufen wurde, kehrte er entmutigt nach Estenfeld zurück.

Am 12. November 1938 wurde er verhaftet und nach Würzburg gebracht. Von dort wurde er mit vielen anderen Juden in einem Güterzug nach Weimar gebracht, wo sich auf dem Ettersberg das KZ Buchenwald befand. In der Unterführung vom Weimarer Bahnhof, so schilderte Birn später sein Leiden, wurden die Juden des Transports von SA-Männern mit Holzstöcken verprügelt. Verletzt und blutend wurden sie dann auf Lastwagen gestoßen und in das KZ gebracht. Am 14. Dezember 1938 wurde er aus dem KZ entlassen und kehrte nach Estenfeld zurück.

 

 

Von Estenfeld zog Siegfried Birn am 27. September 1940 nach Gailingen an den Bodensee, wo eine Verwandte von ihm, Sophie Sondhelm (sie war die Schwester von Carry Birn, der Frau seines Onkels Josef), seit August 1939 das jüdische Altersheim „Friedrichsheim“ leitete. Der Deportation der Gailinger Juden am 22. Oktober 1940 nach Gurs entging Birn wohl nur deshalb, weil er auf Grund einer Knieverletzung, die er sich als Jugendlicher zugezogen hatte, nicht transport­fähig war.

Am 16. November 1940 wurden die letzten 27 Gailinger Juden und Jüdinnen in einem Transport nach Konstanz gebracht und im jüdischen Gemeindehaus einquartiert, wo der Sitzungssaal im Erdgeschoß als Krankenzimmer hergerichtet wurde. Siegfried Birn und Sophie Sondhelm, die den Transport begleiteten, übernahmen ihre Betreuung. Während Siegfried Birn als Verwalter des jüdischen Gemeindehauses fungierte, übernahm Sophie Sondhelm die pflegerische Betreuung der alten Menschen. Die meisten von ihnen wurden später im Transit-Ghetto Theresienstadt ermordet.

Sophie Sondhelm übersiedelte Mitte November 1941 nach Neu-Isenburg, wo sie die Leitung eines jüdischen Kinderheimes übernahm. Nach dessen Auflösung wurde sie Anfang Februar 1943 nach Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert wurde, wo sie Anfang Oktober 1944 ermordet wurde.

Siegfried Birn begab sich Ende Juni 1941 für drei Wochen in medizinische Behandlung ins jüdische Krankenhaus in Mannheim. Während des National­sozialismus war dieses Krankenhaus immer wieder Sammelpunkt verfolgter Juden, so auch 1938 nach der Pogromnacht. So fanden im Speisesaal nach der Zerstörung der Hauptsynagoge Gottesdienste statt. Am 24. Dezember 1941 wurden die letzten Patienten des Hauses verwiesen, weil es zum Polizeikrankenhaus umfunktioniert wurde.

Am 23. Juli 1941 war Birn wieder in Konstanz. Im jüdischen Gemeindehaus lernte er seine Frau Ida Jette Rosenthal kennen, die hier seit Oktober 1940 als Pflegerin arbeitete. Am 23. Februar 1942 heiratete sie in Konstanz. Das Paar bewohnte in der Pension Levi, die sich im jüdischen Gemeindehaus befand, zwei gut bürgerlich eingerichtete Zimmer.

Wenige Tage vor seiner Deportation, wahrscheinlich am 16. April 1942, schrieb Siegfried Birn einen berührenden Brief - wohl sein letztes Lebenszeichen überhaupt - an die befreundete Familie Barthel in Estenfeld. Darin heißt es:

Leider hat sich meine Hoffnung, Euch nochmals persönlich zu sprechen, nicht verwirklichen lassen. Jetzt bin ich mit meiner Frau zum Abtransport nach Polen bestimmt. (...) Für meine kurze Ehe ist diese Verbannung in das bekannte Elend Polens besonders tragisch. Aber wir erleben gerade in diesen Tagen der härtesten äußeren Bedrängnis die tief innerliche Bestätigung unserer seelischen Zusammengehörigkeit und das lässt uns all dem Trüben und Dunklen, das uns jetzt bevorsteht, mit Fassung entgegenblicken. Für unseren nächsten Kampf wird die Erhaltung der Gesundheit das höchste Ziel bleiben. Wir müssen uns leider im Klaren sein, wie viel unvorstellbare Opfer dieser Kampf fordert, denn Hunger und Seuchen sind in den Gebieten, in die wir verschickt werden, ständige Begleiter. Die einzige Hoffnung, die wir mitnehmen dürfen, ist die, dass auch dieser unselige Krieg einmal zu Ende geht und uns dann noch ein Stück menschenwürdiges Leben erwarten kann“.

Siegfried und Ida Birn wussten also genau, dass ihre Deportation nach Polen unmittelbar bevorstand. Am 24. April 1942 wurden sie mit den übrigen Bewohnern des jüdischen Gemeindehauses von der Gestapo abgeholt und mit dem Zug nach Karlsruhe gebracht.

Den Abtransport der Badener Juden aus Karlsruhe schildert ein Bericht der Bezirksstelle Baden-Pfalz der Reichs­vereinigung der Juden vom 27. April 194. Darin heißt es: "Am Freitag, den 24. April, wurde in Karlsruhe ein Transport zusammengestellt, der 75 Personen aus Baden umfasste. Es war uns die Möglichkeit gegeben worden, den Transport­teilnehmern ein Mittagsessen, einen Nachmittagskaffee und ein Abendessen zu verabfolgen, wir haben auch beim Transport des Gepäcks mithelfen können. Der Transport ist in drei Personenwagen mit einem Personenzug am Abend nach Stuttgart befördert worden.“

In Stuttgart mussten die deportierten Juden in einem überfüllten Sammel­lager auf dem Killesberg zwei Tage lang auf ihren Weitertransport warten. Das Sammellager war in einem Gebäude der Reichs­gartenschau von 1939 untergebracht. Am 26. April 1942 verließ der Transportzug mit der Bezeichnung „Da 56“ mit insgesamt 364 Jüdinnen und Juden den Stuttgarter Nordbahnhof Richtung Izbica bei Lublin in Polen. Die Fahrt im Güterzug unter unbeschreib­lichen hygienischen Bedingungen dauerte drei Tage. Am 29. April kam der Transport in Izbica an. Wie viele Personen während des Transports oder in Izbica umgekommen und wie viele in den nahe gelegenen Todeslagern Treblinka, Sobibor oder Belzec ermordet worden sind, ist nicht bekannt.

 

Das offizielle Todesdatum von Siegfried Birn wurde auf den 26. April 1942 gelegt, dem Abfahrtstag des Transports von Stuttgart nach Izbica. Vom Amtsgericht Konstanz wurden er und seine Frau am 10. Oktober 1952 auf den 31. Dezember 1945 für tot erklärt.

 

Recherche: Uwe Brügmann

Quellen:

Stadtarchiv Konstanz

Stadtarchiv Würzburg

Stadtarchiv Mannheim

Staatsarchiv Freiburg, P 303/4 Nr. 2375

ITS Arolsen

Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken, Würzburg

Persönliche Informationen von Jochen Jörg, Estenfeld

Jüdisches Museum Gailingen, Auskünfte von Herrn Joachim Klose