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Stolpersteine Konstanz

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Franziska RÜTTGEROTH, geb. Hiller, 1888 - 1942

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geb. 25.6.1887, Augsburg

EINGEWIESEN 1935

HEILANSTALT REICHENAU

„VERLEGT“ 14.8.1940

GRAFENECK

ERMORDET 14.8.1940

„AKTION T4“

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Max-Stromeyer-Strasse 118
heute (Juli 2016)
 
damals: Weiherhof 102

Foto: © Wolfram  Mikuteit

 

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Stolperstein für Franziska RÜTTGEROTH
verlegt am 03.07.2016

 

 

Franziska Rüttgeroth, geb. Hiller, wurde am 25.6.1887 in Augsburg geboren und katholisch getauft, einen Beruf erlernte sie nicht.

Ihr Leben lässt sich nur anhand weniger Dokumente in groben Zügen rekonstruieren. Am 23.5.1919 heira­tete sie in Konstanz den aus Imbshausen (bei Northeim in Niedersachsen) stammenden Otto Rüttgeroth, der von Beruf Schneider war.

Das Ehepaar bezog eine Wohnung in der Mainaustr.1. Ein Jahr später kam am 26.5.1920 ihr Sohn Otto Josef zur Welt.

Ab dem Jahr 1922 wohnte die kleine Familie 10 Jahre lang in der Wessenbergstr. 24 und verzog im Oktober 1932 in den Weiherhof 36.

In diesen Jahren erkrankte Frau Rüttgeroth psy­chisch, sie hatte religiöse Wahnvorstellungen, wie sich der Sohn später erinnerte. Vom 17. Februar bis zum 15. Dezember 1934 war sie stationär in der Heil- und Pflegeanstalt Reichenau untergebracht.

Am 1. Januar 1934, also 6 Wochen nach der Einweisung von Frau Rüttgeroth, trat das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" in Kraft. Es wurde bereits im Juli 1933, also wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, verabschiedet. Dieses Gesetz diente im NS-Staat der sogenannten Rassenhygiene durch Unfruchtbarmachung vermeintlich "Erbkranker". Darauf basierend stellte der Anstaltsleiter Dr. Kuhn den Antrag auf Unfruchtbarmachung, begründet durch die "Erbkrankheit Schizophrenie".

Am 22. Oktober 1934 erfolgte eine nichtöffentliche Sitzung des Erbgesundheitsgerichts in Konstanz: Amtsgerichtsrat Dr. Gerbel als Vorsitzender, Bezirksarzt Dr. Rechberg, Nervenarzt Dr. Schön als Beisitzer, und Justizanwärter Scheuer als Urkundsbeamter. Der anwesende Pfleger von Frau Rüttgeroth, Hauptlehrer Funke, war mit der Sterilisation einverstanden, der ebenfalls anwesende Ehemann Otto jedoch nicht, da er schwere körperliche Beschwerden seiner Frau erwartete und außerdem darauf hinwies, daß sie sich bereits in den Wechseljahren befände.

Die Einwände wurden jedoch als unbegründet abgewiesen, die Sterilisation angeordnet. Am 29.11.1934 wurde der Eingriff in der städtischen Frauenklinik Konstanz (Friedrichstr. 21) von Dr. Welsch durchgeführt. Die mittlerweile 47-jährige Frau Rüttgeroth wurde Ende des Jahres nach Hause entlassen. Ihre psychischen Problem jedoch, vermutlich auch durch die unter Zwang durchgeführte Sterilisation beschleunigt, verschlimmerten sich in den folgenden Monaten.

 

Im folgenden Jahr 1935 wechselten die Rüttgeroths nochmals den Wohnsitz und zogen einige Häuser weiter in den Weiherhof 102. Im Jahr darauf folgte ein weiterer Umzug in die Gebhardstr. 22.

Der Sohn verließ Konstanz bereits 1935 als Fünfzehn­jähriger, arbeitete 1936/37 in der Landwirtschaft der Anstalt Reichenau und dann beim Bau des Westwalls in Ortenberg bei Offenburg. 1940 wurde er zur deutschen Wehrmacht eingezogen.

Derweil war Frau Rüttgeroth aber bereits dauerhaft Patientin der Reichenau, vom 14. November 1935 bis zu ihrer Ermordung am 14. August 1940.    

Bedingt durch ihren langjährigen Aufenthalt in der Psychiatrie, kam auch sie in die Tötungsmaschinerie der sog. Aktion T4, verharmlosend "Euthanasie" genannt. Zusammen mit 65 weiteren Frauen und Männern findet man ihren Namen unter der Ziffer 18 auf der Transportliste von der Reichenau nach . Am Vormittag des 14.8. verließen die „Grauen Busse“ das Anstaltsgelände und trafen am frühen Nachmittag in der Tötungsanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb ein. Dort wurde Franziska Rüttgeroth nur wenige Stunden später zusammen mit den anderen Patienten vergast, und ihre Leichname wurden eingeäschert.

 

Ermordet am 14.8.1940

 

Erhalten geblieben ist das sogenannte Trostschreiben an den Ehemann, welches von der Heil- u. Pflege­anstalt Sonnenstein bei Pirna eintraf. Sonnenstein war eine der sechs Tötungsanstalten im Deutschen Reich. Das Schreiben wurde an die ehemalige Anschrift verschickt, sodass der Brief am 19.9.40 nochmals, diesmal an die Gebhard­strasse, gesendet wurde. Darin wird der Tod von Franziska Rüttgeroth bedauert, die am 4.9.1940  um 6.30 Uhr unerwartet an einer durch ein Magengeschwür hervorgerufenen Bauchfell­entzündung verstorben sei.

Und weiter: „Alle unsere ärztlichen Bemühungen waren leider vergebens. Bei der Art ihres unheilbaren Leidens ist ihr Tod nur als eine Erlösung für sie anzusehen. Möge Ihnen diese Gewissheit zum Trost gereichen.“ Dieser Brief ist Zeugnis einer zynischen, perfekt funktionierenden Nazibürokratie. Ort, Todes­datum und Todesursache sind vollkommen frei erfunden. Alles diente nur dazu, eventuelle Recherchen von Angehörigen zu erschweren oder unmöglich zu machen.

 

Zur selben Zeit aber hatte der Sohn bereits Nachforschungen angestellt.

Aus einem Schreiben vom 23.9.1940 ( also 5 Wochen nach ihrer Ermordung ) vom Landrat des Landkreises Konstanz an die Heil- und Pflegeanstalt Reichenau geht hervor, dass der Sohn Otto sich nach dem Verbleib seiner Mutter erkundigt hat. Bereits 2 Tage später kommt das Antwortschreiben. Darin heißt es u.a. dass „die früher hier untergebrachte Geistes­kranke am 14.8.1940 im Rahmen planwirtschaftlicher Massnahmen in eine andere Anstalt verlegt worden ist.“ Und weiter: „Der derzeitige Aufenthalt von Frau Rüttgeroth ist uns nicht bekannt“.

 

Einen weiteren Schriftwechsel gibt es nicht, Herr Rüttgeroth verstarb am 15.1.1943. Sein Sohn Otto kam erst 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er heiratete 1949 und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1991 in Konstanz, seine (inzwischen geschiedene) Frau starb bereits 1987,  Nachkommen gibt es nicht.

 

Damit wäre die Erinnerung an Franziska Rüttgeroth endgültig aus dem Gedächtnis der Stadt getilgt worden und die Nationalsozialisten hätten ihr erklärtes Ziel erreicht, ein für sie unnützes Leben für immer in Vergessenheit geraten zu lassen. Der Stolperstein wird nun an ihr grausames Schicksal erinnern.

 

Recherche:  Roland Didra

Patenschaft: Roxane Soergel

Quellen:

Privatarchiv Roland Didra

Stadtarchiv Konstanz, Einwohnermeldekarte

Staatsarchiv Freiburg, Patientenakten Bestand 822/3, Nr. 431

Staatsarchiv Freiburg, B132/1 Nr. 879